Interview: Ben Wheatley über »Rebecca«
Armie Hammer, Ben Wheatley am Set von »Rebecca« (2020). © Kerry Brown/Netflix
»Es war uns wichtig, jede Ironie und jedes postmoderne Zwinkern zu vermeiden«
Ben Wheatley begann seine Filmkarriere in der Werbung und als Kurzfilmer, wobei er noch vor Youtube das Internet als Verbreitungsmedium nutzte. Die dritte Spielfilmregie des 1979 in Essex geborenen Briten, die Horror-Komödie »Sightseers« (2012), die in Cannes im Programm der Quinzaine Premiere feierte, machte ihn international bekannt. Mit der J. G. Ballard-Verfilmung »High-Rise« (2015) und der pominent besetzten Action-Groteske »Free Fire« (2016) näherte er sich zunehmend dem Mainstream an.
epd Film: Daphne Du Mauriers Roman und die Verfilmung von Alfred Hitchcock sind Klassiker der Literatur- und Filmgeschichte. Warum braucht es nach 80 Jahren eine neue »Rebecca«?
Ben Wheatley: Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, einen historischen Stoff zu verfilmen. Als ich dann das »Rebecca«-Drehbuch von Jane Goldman las, war ich überrascht, wie anders ich die Geschichte in Erinnerung hatte. Für mich war es immer ein sehr romantisches Ding, dabei gibt es einige ziemlich verblüffende Twists. Und Hitchcocks Version lässt eine ganze Menge weg. Als mir das klar wurde, ließ es mich nicht mehr los. Und ganz ehrlich: Seit 1940 ist nun wirklich genug Zeit vergangen, niemand von damals ist noch am Leben.
Was genau hat Sie daran gereizt?
Für mich ist das ein Prototyp einer bestimmten Art von Thriller. Und Mrs. Danvers, die mysteriöse Kammerzofe, wurde zur Genre-Ikone, die ihren Schatten bis heute wirft. Und zugleich ist der Roman mutiger als vieles, was wir seitdem an Imitationen zu sehen bekamen. Er spielt einen ziemlich hinterhältigen Trick aus, weil er uns dazu bringt, dieses Paar ins Herz zu schließen. Dieses Verstörende hat mich interessiert, dieser moralische Morast, der ein romantisches Happy End vorgaukelt und den Zuschauer darin einfängt.
Sie weichen dann aber doch von der Vorlage ab, vor allem bei den beiden Frauenfiguren.
Wir haben die neue Mrs. de Winter aktiver gemacht als im Roman, vor allem auch bei der Auflösung am Ende. Der Roman ist aus ihrer Sicht erzählt und sie ist ein sehr schwacher Charakter, voller Selbstzweifel und Selbstmitleid. Dabei sind ihre Handlungen sehr klar und entschlossen. Doch wie glaubwürdig ist sie als Erzählerin? Die Geschichte ist nicht bloß ein Traum von ihr, es ist ihre Erinnerung an einen Traum. Es gibt zahlreiche Ebenen und widersprüchliche Aussagen. Was ist die Wahrheit? Sie weniger passiv darzustellen, macht sie auch glaubwürdiger für ein heutiges Publikum. Wir haben versucht, sie sachte zu modernisieren, ohne die Vorlage zu verraten.
Auch Mrs. Danvers ist komplexer, menschlicher als die legendäre Darstellung von Judith Anderson.
Ich habe immer große Sympathien für Mrs. Danvers gehegt. Für mich ist sie das moralische Zentrum des Films, weil sie die Erinnerung an Rebecca wachhält und gegen das Unrecht, das ihr angetan wurde, aufbegehrt.
Der Plot spielt in den 1930er Jahren und Sie haben diese Ära beibehalten, die im Roman kontemporär war und nun eine gewisse nostalgische Patina hat, ohne ironisch zu sein.
Es war uns sehr wichtig, jede Ironie und jedes postmoderne Zwinkern zu vermeiden. Wir wollten das Ideal klassischer Hollywoodunterhaltung: Sie bekommen einen nervenaufreibenden Thriller, aber wir zeigen Ihnen auch die schönsten Seiten Südfrankreichs und Anwesen, die Sie sonst nie zu Gesicht bekommen. Das verwinkelte Mandalay sollte zum Ausdruck bringen, wie viel Gewicht der Geschichte hier lastet, die koloniale Vergangenheit dieser Familie und ganz Großbritanniens. Und Max ist der vielleicht Letzte dieser Ahnengalerie, ein nutzloser, schwacher Playboy, Sinnbild einer korrupten, degenerierten Aristokratie.
Für Hitchcock war »Rebecca« ein Wendepunkt, seine erste US-Produktion. Für Sie ist es nun der erste Film für Netflix, nach Independentfilmen wie »Sightseers« und »Free Fire« . . .
Keine Sorge, ich habe während des Lockdowns einen kleinen, dreckigen Horrorfilm in 15 Tagen gedreht. Und ich erzähle seit zehn Jahren, dass ich gern einen Blockbuster machen würde. Für mich ist das kein Widerspruch. Überhaupt ist die Vorstellung, dass Regisseure ihre Filmografien sorgfältig kuratieren, unrealistisch. .
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