Ausstellung: »Louis de Funès – à la folie« in der Cinémathèque française
Louis de Funès in »Scharfe Kurven für Madame« (Le grand restaurant, 1966)
In Schwarz-weiß ist er noch nicht lustig – seine Komik braucht die Sättigung. Zu wahrer Form lief Louis de Funès erst auf, als die Wirtschaft boomte und seine Figuren die Früchte jahrzehntelangen Katzbuckelns ernten konnten. Zu dem Privileg, Tyrann sein zu dürfen, mussten sie und ihr Darsteller sich erst hocharbeiten. Die Unausstehlichkeit, das demonstrieren seine Filme immer wieder, ist ein Vorrecht der Reichen und Mächtigen.
Das Vorurteil der farbigen Vollendung seiner Kunst entkräftet allenfalls noch sein Auftritt in »Zwei Mann, ein Schwein und die Nacht von Paris« von 1956. Er ist der Ausstellung der Pariser Cinémathèque gleich einen ganzen Raum wert. Die bittere Satire über die Besatzungszeit ist eine Wasserscheide in dem munteren, manchmal auch nur strampelnden Vorleben, das de Funès bis zum Anbruch seines Starruhms in den frühen 1960ern in gut 100 Filmen führte. Gerade einmal sieben Minuten genügen ihm, um seiner Leinwandpersona des cholerischen Kleinbürgers klare Konturen zu geben und ein Hohelied der Niedertracht anzustimmen.
Dass die erste Ausstellung, die die Cinémathèque einem Schauspieler widmet, ausgerechnet diesen Komiker feiert, war im Vorfeld heftig umstritten. Warum sollte er, dessen Eskapaden nur in Ausnahmefällen das Wohlwollen der seriösen Kritik fanden, die höheren Weihen der Cinephilie empfangen? Er muss es sogar unbedingt, lautet die Antwort der Pariser Institution: Sie nimmt de Funès als Volksschauspieler ernst. Die von Alain Kruger kuratierte Schau gibt sich beinahe jede erdenkliche Mühe, die Zweifler zu entwaffnen. Ihr Blickwinkel ist historisch, soziologisch und entschieden affirmativ; philosophisch ist er überraschenderweise nicht. Sie lässt sich auf zwei Augenhöhen erkunden: der des Kindes und der des Erwachsenen.
Diese Zweideutigkeit wird bereits im Eingang zur Ausstellung besiegelt. Hier lässt sich einerseits sein Gesicht als ein Instrument schier unbegrenzter Ausdrucksmöglichkeiten bestaunen. Und einen halben Meter weiter werden Ausschnitte aus de Funès' Komödien illustren Vorbildern gegenübergestellt: nicht nur Chaplin, Keaton und Tex Avery, sondern gar Murnaus »Nosferatu!« Noch mit einer weiteren Überraschung wartet Kruger im Vorraum auf: 1977 trug sich de Funès mit dem Plan, einen Stummfilm zu drehen. Seine Wurzeln im Slapstick stehen außer Zweifel, aber würde seine Leinwandfigur ohne Zetern und Wortschwall funktionieren?
Seine Karriere stellt die Schau in den Kontext der »Trente glorieuses«, der nach französischem Selbstverständnis ruhmreichen 30 Jahre, die dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgten. Sie schließt technische und gesellschaftliche Entwicklungen mit seinem Werdegang als Bühnen- und Filmdarsteller kurz; die Erfindung des Kaugummis der Marke Hollywood soll sich 1973 in »Die Abenteuer des Rabbi Jacob« auszahlen. De Funès' Leinwandpersona entwickelt sich allmählich. Er ist zunächst ein leidlicher Ensembledarsteller, findet erst als Solitär den Spielraum für seine charakteristische Stromstoßgestik. Die Rempeleien des Schicksals erfüllen seine Charaktere mit derselben fassungslosen Empörung wie die Einfalt ihrer Umgebung; sie sind für jedwede Schmeichelei empfänglich und haben diebische Freude an der eigenen Verschlagenheit. Der Ungehorsam der Jugend ist ihnen schon vor 68 ein Ärgernis, aber sie gehen mit der Zeit, liefern sich den bunten Tollheiten des Popzeitalters aus. Der kulturellen Überlegenheit der Grande Nation sind sie sich gewiss, auch wenn sie deren übelste Verkörperung darstellen. Bezeichnend ist die Rolle, die der Kochkunst in seinem Werk zufällt: Sie ist eher dem Nationalstolz als der Bereitschaft zum Genuss geschuldet. Privat war er ein Pionier der ökologisch-nachhaltigen Landwirtschaft.
Sein Arbeitstemperament konnte unduldsam sein. Regisseure und Drehbuchautoren waren keine Opposition, die der rechtsanarchische Grimassenschneider gelten ließ; in dem Regisseur Gérard Oury jedoch, mit dem er seine größten Kassenerfolge drehte (»Louis, das Schlitzohr« und »Die große Sause«, dem Alfonso Cuarón in »Roma« eine unverhoffte Hommage erweist), fand er einen souveränen Impulsgeber. Mit ihm tritt de Funès gleichsam in die barocke Phase seiner Karriere ein, in der die Burleske zum Freiraum staunenswerter kultureller Aneignungen wird. »Die dummen Streiche der Reichen« ist von Velasquez-Gemälden beeinflusst und »Rabbi Jacob« der erste französische Mainstreamfilm, in dem ethnische Minderheiten eine zentrale Rolle spielen. In Paris lässt sich de Funès als ein Komiker entdecken, der sich stets neu erfinden wollte – aus Ehrgeiz und robustem Selbstzweifel.
Die Ausstellung »Louis de Funès – à la folie« läuft bis zum 31.5.2021
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