Woman meets Woman
»Porträt einer jungen Frau in Flammen« (2019). © Alamode Film
Das Kino hat lange gebraucht, um lesbische Beziehungen als etwas Selbstverständliches darzustellen. Und es gibt noch Spielraum nach oben, findet Jenni Zylka
»Girl meets girl«. Nicht zu verwechseln mit »girl on girl«. Letzteres sieht man öfter: Sexszenen unter Frauen gehören zur kollektiven Hetero-Männerfantasie und stellen darum einen nicht unerheblichen Anteil des durch Heteromänner konfigurierten Porno-Contents. In diesen Szenen »verwöhnen« sich die Darstellerinnen gegenseitig – vornehmlich durch Reiben an Brüsten. Mit lesbischem Sex hat das nur bedingt zu tun. Denn der ist in allen Belangen vielfältiger als die klassische, meist von normativen Frauenbildern – jung, schlank, langhaarig – geprägte Klick-Erotik.
»Girl meets girl« ist eine ganz andere Geschichte. Hier wird von lesbischen Begegnungen, Beziehungen, auch vom Beischlaf erzählt. Und darin steckt, genauso wie im »boy meets girl«, der Rohstoff von Kinodrama und RomCom: Zwei Menschen lernen sich kennen und lieben, es gibt ein Problem, und sie überwinden es. Oder auch nicht. Doch während die schwule Lovestory in den letzten Jahrzehnten triumphierend nach dem längst eroberten Indie-Filmbereich auch den Mainstream als Spielfläche gewann und von »Der Kuss der Spinnenfrau« (1985) über »Philadelphia« (1995), »Alles über meine Mutter« (1999), »Brokeback Mountain« (2005), »Milk« (2008) und »Moonlight« (2017) bis »Call Me By Your Name« (2018) mit sämtlichen Preisen zwischen Goldener Palme und Oscar ausgezeichnet wurde, sind lesbische Liebesgeschichten, die im Zentrum eines populären, über den Zirkel der Queer-Filmfestivals hinaus wirkenden Kinofilms stehen, rar.
Es gab sie aber und gibt sie – nicht erst seit Céline Sciammas intensiven, beobachtenden Tableaus einer verbotenen Liebe in »Porträt einer jungen Frau in Flammen«, der in diesem Jahr in Cannes für das beste Drehbuch ausgezeichnte wurde. In William Wylers »Infam« von 1961, der auf ein Theaterstück der Autorin Lillian Hellman von 1934 zurückgeht, werden zwei Lehrerinnen (Audrey Hepburn und Shirley MacLaine) eines »unnatürlichen Verhältnisses« verdächtigt und erfahren Ablehnung bis hin zur Existenzbedrohung durch die Schließung der Schule. Als sich herausstellt, dass eine der beiden tatsächlich die andere begehrt, gibt es – filmdramaturgisch und zeittypisch – nur einen Ausweg: Die bekennende Lesbe muss sich das Leben nehmen.
Den tragischen lesbischen Suizid aufgrund der sexuellen Präferenz spiegelt auch Stephen Daldrys 2002 entstandener, um Virgina Woolfs experimentellen »Mrs. Dalloway«-Roman kreisender Film »The Hours«. In drei Generationen und Zeiten erzählte der Regisseur nach einem Drehbuch von David Hare von drei Frauen, die sich gesellschaftlichen Zwängen verweigern. Hier zerbricht die erste, Virginia Woolf (Nicole Kidman mit oscarreifer Räubernase), final und fatal an den Verhältnissen. Die verheiratete, in eine Nachbarin verliebte Laura (Julianne Moore), deren Drama sich 1951 entwickelt, schluckt die gehorteten Tabletten nicht, sondern entscheidet sich für das Leben. Und in der Geschichte von Clarissa (Meryl Streep), die im New York der Jahrtausendwende in einer stabilen Beziehung mit einer Frau lebt, bringt sich ein an AIDS erkrankter schwuler Freund um.
Es geht aber auch noch finsterer. In »Monster«, Patty Jenkins' 2003 entstandenem und mit einem Oscar für Charlize Therons Darstellung ausgezeichnetem Biopic über Aileen Wuornos, ist die lesbische Protagonistin eine mehrfache Mörderin – und wird am Ende durch die Spritze hingerichtet.
2015 gewann Rooney Mara für »Carol« den Schauspielpreis in Cannes. Die hochsensibel erzählte und detailliert ausgestattete Liebesgeschichte nach einem Roman von Patricia Highsmith, den diese unter einem Pseudonym schrieb, um nicht als »lesbische Schriftstellerin« katalogisiert zu werden, wurde für viele weitere Preise nominiert – und ging doch leer aus. Die Produktion sei kompliziert gewesen, erzählten die Beteiligten, es gab Probleme, das Budget zusammenzubekommen. Denn die lesbische Liebe ist ein »Frauenthema« – und damit gebrandmarkt. Das Besondere an »Carol«, der in den 50ern – und damit sogar ein paar Jahre vor »Infam« – spielt, ist seine positive Auflösung: Hier entscheidet sich die Protagonistin Carol (Cate Blanchett) aktiv für ein lesbisches Leben und, schweren Herzens, gegen die Familienstruktur – sie darf ihre Tochter jedoch noch sehen, die beim Vater leben wird. »Ich will mich nicht mehr verstellen«, sagt sie dem Ex-Mann und den Anwälten. Auch ihre Geliebte Therese, gespielt von Mara, sucht am Ende nach dramatischem Beziehungs-Auf-und-Ab den »Oak Room« auf, einen ursprünglich Männern vorbehaltenen legendären New Yorker Club, wo ihre Freundin im Kreise von Geschäftsleuten und Freunden sitzt. Geht doch, scheint der Film aufzumuntern, die suizidalen Zeiten sind vorbei (und hätten auch in den 50ern vorbei sein können). Denn wo Mut ist, da ist auch eine Möglichkeit. Wille und Gebüsch werden ohnehin vorausgesetzt.
Apropos Gebüsch und die sich dort versteckenden Aktivitäten: Dass »Carol« tatsächlich entstehen konnte und wahrgenommen wurde, mag zumindest zum Teil an der Körperlichkeit der Schauspielerinnen liegen. Beide Darstellerinnen sind bildschöne Heterofrauen, Blanchett agiert in einem mondänen Hitchcock-Blondinen-Look, Mara mit Hepburn'schem Rehblick. So hatte Highsmith ihre Protagonistinnen beschrieben – ihre klassische Attraktivität kommt jedoch auch männlichen Sehgewohnheiten entgegen. Zwar unterwirft sich »Carol« in keiner Weise dem Male Gaze, dennoch fügt der Film dem Frauen- (und Lesben-)Bild rein äußerlich wenig Vielfalt hinzu. Anders als beispielsweise Marielle Hellers 2018 entstandenes beziehungsfernes Biopic über Lee Israel, »Can You Ever Forgive Me?«, dessen exzentrische Hauptperson eine Anfang 50-jährige, schwere und verbitterte Autorin ist, gespielt von Melissa McCarthy. Die für ihre hervorragende tragikomische Interpretation wiederum vielfach nominiert wurde und nur wenige Branchenpreise mit nach Hause nahm.
Einen großartig humorvollen Blick auf lesbische Beziehungen wirft Madeleine Olneks B-Movie-Parodie »Codependent Lesbian Space Alien Seeks Same« von 2011. In der schwarz-weißen Produktion erzählt die reizende, füllige, kurzhaarige Papierwarenverkäuferin Jane (Lisa Haas) ihrer Therapeutin von einem Traum mit einem Raumschiff, das durch den nächtlichen Manhattan-Himmel geschwebt sei. Direkt über der einsamen Brillenträgerin habe es einen Zettel fallen lassen, darauf die Botschaft: »Hast du heute Abend schon was vor?« Der Traum ist prophetisch, die Aliens entpuppen sich als glatzköpfige Frauen mit steifen Bela-Lugosi-Kragen, die Kontakt zu weiblichen Erdlingen suchen. Denn zu viele starke Gefühle haben auf ihrem Heimatplaneten Zots Löcher in der Ozonschicht verursacht. Die auf die Erde versendeten Zots-Bewohnerinnen sollen laut Regierungsanweisung ihre Sentimente dort tüchtig ausleben, um immun gegen Liebe und Romantik zu werden. Doch eine der Glatzen verliebt sich prompt in Jane, ganz gemäß dem alten Homowitz: Was machen zwei Lesben beim zweiten Date? – Den Möbelwagen bestellen. Und was machen zwei Schwule beim zweiten Date? – Welches zweite Date?
Humor wird lesbischen Liebesgeschichten leider seltener zugestanden als schwulen – und dieser Mangel an kollektivem Gekicher kratzt an ihrer Beliebtheit bei einem Mainstreampublikum. Dass schwule Männer ohnehin tendenziell als amüsante und überkandidelte Zeitgenossen gelten, Lesben dagegen als bierernst, verstärkt den Effekt. Die Adaptionen von Jean Poirets Theaterstück »La cage aux folles«, das unter anderem von Mike Nichols mit Robin Williams und Nathan Lane als »The Birdcage« verfilmt wurde, bestätigt diese Vorurteile: Der 1996 entstandene Film ist eine große, herrliche, theatralische Tuntenkomödie. Mit zwei Hauptdarstellern, die ganz selbstverständlich dem durchtrainiert-bepackten, männlichen Heldenbild des Kinos trotzen und tantig-tuntig allein durch Witz, Herz und Charisma bestechen.
Im internationalen Mainstream-Filmbereich, vor allem aber in der zuschauer*innenabsorbierenden US-amerikanischen Branche müssen weibliche Körper, die auf der Leinwand miteinander Sex treiben oder Beziehungen haben, dagegen vielen Standards genügen. Und dürfen sich ästhetisch nicht zu weit von der elegant-sinnlichen »girl on girl«-Erotik entfernen, die viele Zuschauer und Zuschauerinnen im Kopf haben. Die aber auch, im Falle von »Porträt einer jungen Frau in Flammen«, zur Heimlichkeit der Gefühle passt: Sciamma erzählt von klandestiner Sinnlichkeit, nicht von Sex. Abdellatif Kechiches nach einem Comic von Julie Maroh inszeniertes französisches Liebesdrama »Blau ist eine warme Farbe«, das 2013 in Cannes die Goldene Palme als bester Film gewann, sorgte beim Filmstart für Reaktionen aus sämtlichen Ecken: Einerseits wurden (später wieder zurückgenommene) Manipulationsvorwürfe der beiden Hauptdarstellerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos gegenüber dem Regisseur laut. Andererseits wurde dem Film unter anderem von der Autorin der Comicvorlage vorgeworfen, homosexuelle Liebe nicht »richtig« darzustellen und sich in Richtung Pornografie zu bewegen – wiederum mit dem Argument, zwei schöne Frauen beim Sex befriedigten vor allem heteromännliche Sehbedürfnisse.
Dabei wird die Krux, der lesbische Liebesbeziehungen im Film stärker als schwule unterlegen sind, deutlich: Auch in Marohs Comicvorlage lieben sich zwei junge, schlanke, ebenmäßige Frauen mit großen Augen. Seydoux' und Exarchopoulus' Erscheinungen passen also – und dass die Lust und die bevorzugten Techniken der Liebenden nicht schamhaft und elegant wie in »Carol« oder dem deutschen Film »Aimée und Jaguar«, sondern deutlich, saftig und realistisch von der Leinwand fließen, kann man als Fortschritt in Richtung Selbstverständlichkeit der Darstellung von lesbischer Beziehung und lesbischem Sex deuten. Zudem fällt der Film tatsächlich in keiner Sekunde unter die Definition für Pornografie – denn der partnerschaftliche Aspekt der sexuellen Beziehung wird keinesfalls ausgeklammert, sondern groß ins Zentrum der Geschichte gesetzt.
Lesbische Frauen und Beziehungen in Nebenhandlungen tummeln sich immerhin längst im Mainstream- und Independentkino – ebenso wie in Serien. Carrie-Anne Moss' eindringliche Darstellung von Jessica Jones' tougher Anwältin in der gleichnamigen Serie des »Marvel Cinematic Universe« ist ein schönes Beispiel. In Produktionen wie Tig Notaros autobiografischer Serie »One Mississippi« und vielen anderen wie »Glee«, »Orange is the New Black«, »Sex Education«, »Stadtgeschichten«, »True Blood« und natürlich »The L-Word« gibt es Nebenhandlungs- und Hauptdarstellungs-Lesben galore, mit und ohne Sex, mit und ohne Beziehung, mit und ohne Humor. Die mannigfaltige Handlungskonstruktion von Serien macht es möglich. Nun muss das Kino nur noch mitziehen. Und vielleicht nebenbei gleich das »girl meets girl« durch »woman meets woman« ersetzen. Denn auch dem ageism müsste es mal an den Kragen gehen.
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