Bibi, Tina, der Führer und wir
»Bibi und Tina – Der Film« (2014). © DCM
Der größte Teil der Fernsehware aus Deutschland wendet Post-Ufa-Mittel an, die in die fünfziger und sechziger Jahre zurückreichen: ein Ufa-Stil ohne Tempo, bei dem der visuellen Gestaltung rein illustrativer Charakter zukommt. Ein Regisseur wie Josef Vilsmeier dagegen bedient sich eines verschärften Ufa-Stils – der hier dankenswerterweise vollkommen offen daherkommt. Aus der giftigen Zitattechnik von Rainer Werner Fassbinder – mit vollem Risiko in »Lili Marleen« – ist bei Vilsmaier eine schummrige Übernahme der bewährten, aber eben auch vergifteten Stilmittel geworden; die technisch aufgerüstete Rekreation der Ufa-Stimmung in »Comedian Harmonists« oder »Marlene« wiesen den Weg in eine mehr oder weniger unverdächtige Ufa-Nostalgie. Besonders bei der Reinszenierung der Vergangenheit ist im deutschen Film und Fernsehen dabei ein »Hyper-Ufa-Stil« entstanden – als würden ganze Einstellungsfolgen noch einmal mit neuer Produktionstechnik und verklärendem Nebel überzogen. Aber irgendwie »politisch korrekt«. Die neue UFA hat im Jubiläumsjahr indes nicht umsonst ein Event ausgerichtet, bei dem die Stars von heute in den Kostümen klassischer Ufa-Filme auftraten. Als Life-Erlebnis wurde da zelebriert, was die Erzählmaschine technisch, ästhetisch und ganz gewiss nicht »unschuldig« tut.
Hilmar Hoffmann hat unter den elf Spielarten des Ufa-Films in der NS-Zeit neben dem »Unterhaltungsfilm« auch den »gemeinschaftsbildenden« Film ausgemacht. Als »inneren Reichsparteitag« bezeichnete Karsten Witte den »unpolitischen« Ufa-Film, und als Konstruktion einer solchen inneren Überwältigung kann man auch den Post-Ufa-Stil bezeichnen, in dem Emotion, Information und Ordnung eine ganz bestimmte Einheit bilden: nicht Dar- sondern Herstellung von »Deutschheit«. Man kann diesen Stil als triviale Maschine der Repräsentation beschreiben: Man kennt alle Rohstoffe, alle Arbeitselemente und insbesondere alle Ergebnisse. Es ist ein Kino, das vor allem mit Wiedererkennung arbeitet; das geschieht, ganz direkt, durch die Herstellung von Bildern und Bildfolgen, die auf eine überkommene Art »richtig« sind und dem Blick keinerlei Widerstand entgegensetzen.
In einem neuen Film wie »Unter deutschen Betten« sich diese soziale Komponente, die Bildung von Gemeinschaft jenseits von Klasse und Kultur, zeigen: Veronica Ferres muss als verunglückte Schlagersängerin mit einer polnischen Putzfrau auf Tour gehen, um soziale Kompetenz zu erlernen. Selbst in den Filmen von »Bibi und Tina« kommen noch Diener vor, wird einer von supermodernen Kids als »Herr Graf« angesprochen: in einer zwar menschlichen, aber keineswegs sozialen Übersprungsaktion zwischen oben und unten, ganz so wie in Ufa-Komödien stets die Herrschaften-Dienstboten-Organisation in die Konstruktion der Welt hereingeholt wurde. Zum Ufa-Stil, alt wie neu, gehört es, dass man sich, bei allen aktuellen Zurüstungen, in einer Gesellschaftsform befindet, die es nicht mehr gibt.
Nostalgie ist ein Wesenszug dieses Stils, so dass in Filmen, die sich des Neo-Ufa-Stils des »Dritten Reiches« annehmen, nie recht zu unterscheiden ist, ob man kritisch oder doch wehmütig blicken soll. In Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit ist der Neo-Ufa-Stil deshalb besonders unangenehm. Eine Reihe von deutschen Filmen unternimmt dabei das Gegenteil einer Gegenerzählung zum Ufa-Traum, nämlich ein Weitererzählen – über das Ende hinaus. »Der Untergang« ist besonders typisch. Er konstruiert ein kognitives und ästhetisches Kontinuum über dem Bruch; er zeigt die einverstandenen kleinen Leute des Ufa-Films, die weitermachen. Ihre Welt geht unter, aber nicht einmal dadurch wird sie ihnen fremd. Diesem Weitererzählen im Ufa-Stil entsprechen auch Filme wie »Das Wunder von Bern« und schließlich solche, die sich von der DDR verabschieden, indem sie die menschliche Kontinuität über den politischen Bruch hinaus betonen. Ein Prinzip des »unpolitischen« Ufa-Films, das Diminuieren, wird dabei bis zum Exzess durchgespielt. Das Ufa-Lachen kann einem nie im Hals stecken bleiben.
In den Komödien des Neo-Ufa-Stils kommen Pointen so gut wie nie überraschend; der Anarchismus des Komischen hat keine Chance. Lachend soll klar werden, wer wir und wer die anderen sind, wohin man gehört, was sich gehört und was nicht. Es wird belacht, was offensichtlich ist. Im Neo-Ufa-Stil rekonstruieren sich Schule (»Fack ju Göhte«) und Familie (»Das Pubertier«) aus ihrer Negation, in der komischen Distanzierung zu »Prolls« und »schwierigen« Jugendlichen. Am Ende steht die alte »Gemeinschaft«. Im Ufa-Stil kann es die Würde der Einsamkeit nicht geben, jede Figur wird gnadenlos in die Konstruktion eingebunden, bis es kein Außen mehr gibt. Das Scheitern an dieser Gesellschaft ist strikt verboten. Jede Emanzipation in diesen Filmen läuft auf das Besetzen der Mitte hinaus. So wie hier den Menschen das Recht auf Fremdheit abgesprochen wird, wird ihnen das Recht abgesprochen, nicht mitzumachen. Die Handlung spielt in einer militanten Privatheit, und wenn in Hollywood das Happy End immer mit einem Erfolg verknüpft ist, dann im deutschen Post-Ufa-Film immer mit einem »Zuhause«.
Das macht schließlich auch, dass das Zeitgemäße und Zeitgenössische im Neo-Ufa-Stil wie von außen hinzugefügt wirkt. Die Menschen reden und handeln angestrengt aktuell, als gälte es, die innere Altmodischkeit zu überwinden. In der alten Ufa-Komödie hatten alle Protagonisten Telefone und Automobile, waren technisch ihrer Zeit so weit voraus wie sie ihr soziologisch hinterher waren; im neuen Ufa-Stil kommunizieren die Protagonisten weit mehr als sie sich etwas zu sagen haben. Und während im deutschen Autorenfilm der Verlierer und Außenseiter behandelt wurde, sind im Neo-Ufa-Stil der patente Normalo, der Katja-Riemann-Typus (und als Karikatur Veronica Ferres), der brummige Proll, der melancholische Kleinbürger bevorzugte Protagonisten. Die »Männerherzen«-Serie beginnt als halb-satirische Binnenethnologie der sexuellen Ökonomie des deutschen Bürgers und endet als dessen Bestätigung. Matthias Schweighöfer schließlich scheint der neue – frühe – Heinz Rühmann: der treuherzige Kleinbürger als Erlöser.
Wie in den alten Ufa-Filmen versuchen sich hier alle und alles in einer umgrenzten, gleichförmig, sogar gleichförmig ausgeleuchteten und gleichförmig akustisch organisierten Welt zu bewegen, und wie in den alten Edgar-Wallace-Filmen meint man, nur durch eine Tür gehen zu müssen, um von einem Film in den anderen zu gelangen. Dekors, Licht, Kamera, Sets folgen einer Meta-Continuity. Um zu begreifen, wie stark der Ufa-Stil noch in der dritten und vierten Nachkriegsgeneration des Filmemachens wirkt, genügt es, Ausstattung, Licht und Musik zu betrachten. In einer Folge von »Gute Zeiten – Schlechte Zeiten« etwa ist die Wohnung einer WG auf idealisierte Weise aufgeräumt, aber eben nicht stilisiert; in Vilsmaiers Kästner-Variation »Charlie und Louise« ist das Altmodische im Modischen verpackt, in der Seniorenkomödie »Wir sind die Neuen« ist jedes Ausstattungsstück und jedes Wort semantisch überdeterminiert, in den Regionalkrimis sind Landschaft und Dialekt aufs touristische Kulissenschieben reduziert. Der Ufa-Stil und sein Echo im neueren deutschen Film drücken vor allem zwei Ängste aus: die Angst vor dem Publikum und die Angst vor den Bildern. Der Ufa-Stil kann sich nur in einer Kultur entfalten, die im tiefsten Inneren von Bilderfurcht erfasst ist. In einer Gesellschaft, deren Insassen lernen wollen, nicht genau hinzusehen.
Natürlich ist die Übernahme des Ufa-Stils auch eine Form der Ökonomie, denn die Dramaturgie machte ja nicht nur den genauen, realistischen Blick unmöglich, sondern auch die epische Darstellung, in der die Menschen sich in Weite und Ornament verlieren. Beim Ufa-Stil gibt es nicht die Einstellung, die zeigt, dass Menschen sich unwichtig vorkommen; alles wird durch die Rolle gesehen. So zelebriert ein Film wie »Der Medicus« von Philipp Stölzl ganz in diesem halbnahen Stil »Geschichte«.
Kamera und Lichtsetzung im Ufa-Stil in ihrer Mid-key-Ästhetik betonen die Intimität, alles spricht von der Zugehörigkeit der Bildelemente. In den späten Sechzigern versuchte auch der deutsche Unterhaltungsfilm, aus diesem Gefängnis auszubrechen: Der Kriminalfilm ließ die Innenräume implodieren und aus dem Heimeligen wurde das Unheimliche, während die Outdoor-Genres nach Breite und Weite suchten (wie die Karl-May-Filme) und andere den Aufbruch und Fortschritt wiedergeben wollten. Als der deutsche Film den Angriff der Autorenfilmer abgeschlagen hatte, kehrte man indes nicht zu diesen zaghaften Modernisierungen zurück, sondern in die Vormoderne des Ufa-Stils.
Deutsche Filmemacher arbeiten seit den achtziger Jahren in einem Feld mit vier Bezugsgrößen: Hollywood, Neo-Ufa-Stil, Fernsehen und Autorenfilm. Es gibt Regisseure, die sich recht eindeutig auf einen dieser Punkte beziehen, und andere, wie etwa Dominik Graf, die sich ihre Freiheit in einer großen Beweglichkeit innerhalb dieses Feldes zu erhalten versuchen. Je unerreichbarer das Hollywoodkino und je ausgegrenzter oder erstickter der Autorenfilm, desto stärker wird im deutschen Filmgeschehen die Achse zwischen Fernsehen und Neo-Ufa-Stil.
Ein weiterer Aspekt des Ufa-Stils ist die Beziehung zwischen dem Produkt und dem Publikum. Es wäre gewiss absurd, einem kommerziellen Spielfilm vorzuwerfen, dass er möglichst viele Zuschauer erreichen will. Im Ufa-Stil indes gibt es dazu ein besonderes Angebot, nämlich die Illusion, Produktion und Konsumtion würden sozusagen dieselben Ziele verfolgen. Das Publikum ist hier kein Partner, sondern Teil eines ästhetisch-ideologischen Deals. Resigniert beschreibt Christian Petzold die Haltung der Berliner Schule: »Man will das Spiel nicht mitspielen. Das reicht erstmal.«
Organisatorisch kann man beim Neo-Ufa-Stil von der Entmachtung der Regie sprechen. Eigentliche Instanzen sind die Genrevorgaben, die Zutatenliste und die Produzenten. Deutlich sagte es im »Focus« Kirstin Krause, Marketing-Leiterin der aktuellen Ufa: »Der Produzent ist quasi der kreative Motor – er entwickelt Ideen und Stoffe und stellt die ideale Mannschaft aus Drehbuchautor, Regisseur und natürlich den Schauspielern zusammen«. Wie in der alten Ufa ist das Regiehandwerk der Erfüllungshilfe des eigentlich kreativen Produzenten, etwas, das wir in einer etwas performativeren, aber auch offeneren Art von Bernd Eichinger kannten. In seinen schlimmsten Zeiten war der Ufa-Stil Ausdruck eines monopolistisch beherrschten Marktes; heute ist die Ufa Europas größte Produktionseinheit, die Hegemonie der Firma ist nicht zu denken ohne die Hegemonie eines Stils. Die direkteste Verbindung von Ästhetik, Ökonomie und Politik veranschaulicht sich indes in den großen deutschen TV-Events, »Dresden«, »Die Flucht«, »Unsere Mütter, unsere Väter«, »Ku'damm 56« und »Charité«, die eine verwandte Strategie der Intimisierung und Verflüssigung von Geschichte betreiben.
Natürlich gibt es auch »kritischere« oder »persönlichere« Arbeiten, aber es entsteht nichts mehr, was dem Code widerspricht. Der Neo-Ufa-Stil ist eine Glocke über dem Mainstream des deutschen Film. Das Instrument dieser Konzeption ist das Drehbuch als Kontrollinstanz. Auch das ist ein Erbe der Ufa: die Vor-Geschriebenheit des Films.
Kommentare
UFA Revisited
Zustimmend noch zwei Ergänzungen: An die Stelle von "Erfolg" und "Zuhause" sind mittlerweile sowohl in Hollywood als auch in der "Neo-UFA" die Chiffren "Stolz" und "Familie" getreten. Nicht zu vergessen der "Traum, der wahr werden soll", ohne den keine Geschichte mehr an den Start gehen darf, der die blauen Augen so schwärmerisch ziellos gen Horizont schauen lässt. Die Kehrseite dieser von Angst besetzten Erzählhaltung ist der Drang, unbedingt beweisen zu wollen, dass man "es kann". Man hat die Technik, das Geld, die Formeln (also eine Industrie) um möglichst vielen Menschen möglichst "große Unterhaltung" zu bieten. Und das bitteschön, auch auf "internationalem Niveau", damit "das Ausland" nicht über uns lacht. Diese Beweißwut war schon in der Prae-Goebbels-UFA der Weimarer Republik ein wesenticher Motor (nachzulesen z.B. bei Curt Riess) und wurde auch gerade wieder in der PR-Maschinerie zu "Babylon Berlin" aufs peinlichste exerziert...
Kleiner Einwand
Toller Essay, danke! Einen kleinen Einwand gestatte ich mir: "Zum Ufa-Stil, alt wie neu, gehört es, dass man sich, bei allen aktuellen Zurüstungen, in einer Gesellschaftsform befindet, die es nicht mehr gibt." Das stimmt nicht. Das Gesellschaftsbild, welches hier reproduziert wird, befindet sich längst wieder auf dem restaurativen Vormarsch, auch wenn sich Herrschaft-Dienstboten- und andere Abhängigkeitsverhältnisse heute anders und/oder subtiler zeigen mögen. Man denke nur an die Wiederkehr des Dienstmädchens in bourgeoisen Großstadthaushalten - heute eben Au Pair, Putzfrau oder Babysitter genannt. Der "Herr Graf" bei Bibi und Tina ist somit kein Spiel mit alten Zeichen, sondern Ausdruck der Sehnsucht nach Restauration alter Herrschaftsverhältnisse.
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