Kritik zu Wir sind die Neuen

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Ein Trio lebenslustiger Alt-68er trifft auf drei spießige Studenten: Ralf Westhoff prüft unterschiedliche Lebensentwürfe im Wandel der Zeiten

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Wer will schon ins Altenheim abgeschoben werden? In den Zeiten des demagogischen Wandels formiert sich eine Generation lebenslustiger Senioren, die nach neuen Modellen suchen. Das gilt auch für die Alt-68er Eddi und Johannes, die eine Neuauflage ihrer Jugend-WG wagen. Freundlich stellen sie sich beim Einzug den Nachbarn vor: drei Studenten, die für ihr jugendliches Alter erschreckend spießig sind und gleich mal klarstellen, dass sie sich jegliche Ruhestörung verbitten, da sie mitten im Examensstress stehen und ansonsten auch für Altenpflege, Computerservice und Apothekengänge nicht zur Verfügung stehen. So entspinnt sich bald ein Nachbarschaftskrieg, in dessen Verlauf sich freilich bald herausstellt, dass die Bedürftigeren in Wirklichkeit doch eher sie selbst sind.

Schon in seinen früheren Filmen hat Ralf Westhoff die Vibrationen des Zeitgeistes aufgenommen, den aktuellen Stand der Dinge in Sachen Liebe und Leben thematisiert. So ging es in Shoppen um das Phänomen des Speed-Datings und in Der letzte schöne Herbsttag um die Fallstricke moderner Beziehungen. Sein feines Gespür für den authentischen Tonfall und die komischen Absurditäten des menschlichen Zusammenlebens sorgte dabei für eine gute Balance zwischen geerdeter Glaubwürdigkeit und komischer Überhöhung, ein sympathischer Charme, der wesentlich auch von einer feinfühligen Besetzung getragen ist. Das gilt nun auch für Wir sind die Neuen, jedenfalls für das reife Trio, das Gisela Schneeberger mit sprühender Lebenslust und erdigem Pragmatismus befeuert, während Michael Wittenborn den verschusselten Althippie mit charmanter Kläglichkeit ausstattet und Heiner Lauterbach eine Lebemannversion des Spontis intoniert. Im Vergleich dazu bleibt an Claudia Eisinger, Caroline Schuch und Patrick Güldenberg der eher undankbare Part der freudlosen Jungen hängen.

Indem Westhoff die gelassenen Alt-68er auf die ehrgeizigen Studenten von heute treffen lässt, untersucht er die unterschiedlichen Lebensentwürfe im Wandel der Zeiten und streift fast beiläufig ein ganzes Register virulenter gesellschaftlicher Themen. Altersarmut und Mietexplosion treiben die Sixty-Somethings in alternative Wohnmodelle, und der Leistungs- und Konkurrenzdruck im Bildungssystem macht aus den Studenten Effizienzroboter. Die Jungen von heute mögen zielstrebiger und ehrgeiziger sein, lebenstüchtiger werden sie dadurch sicher nicht.

Während die benachbarte Studenten-WG in der amerikanischen Komödie Bad Neighbors für die junge Familie ein Mahnmal der verlorenen Jugend war, erzählt Ralf Westhoff vor allem davon, dass die älteren Generationen sich ihre Jugendlichkeit sehr viel länger bewahren, sie wollen Spaß, sie feiern, trinken, probieren Neues aus, während die Jungen vor lauter hochgesteckten Zielen das Leben dazwischen vergessen. Das fröhliche Chaos bei den Alten ist allemal sympathischer und lebenslustiger als die sterile, durchorganisierte Ordnung bei den Jungen, die sogar noch ihre Schuhe katalogisieren, aber in den praktischen Dingen des Alltags kläglich versagen.Anke Sterneborg

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