Kritik zu Grüße aus Fukushima
Doris Dörrie vertieft ihre »Nippon Connection« mit einer sensibel beobachteten Annäherung an zwei unterschiedliche Frauen. In einem Katastrophenfilm der etwas anderen Art macht sie zugleich Aspekte der japanischen Kultur einer feministischen Lesart zugänglich
Doris Dörries neuer Film erzählt von Fukushima. Er beginnt auch wie eine Katastrophe. Eine gefühlte zumindest. Die wackelige Handkamera folgt der jungen Marie (Rosalie Thomass), die sich kurz vor der Trauung mit ihrem Bräutigam überwirft. Noch im Hochzeitskleid will sie sich am nächsten Baum erhängen. Doch dann reist sie lieber nach Fernost, um dort gemeinsam mit zwei Clowns jene leidgeprüften Menschen zu erheitern, die 2011 Erdbeben, Tsunami und Reaktorbrand überstanden. Sie ertragen nun auch Maries zweitklassige Darbietung mit japanischer Höflichkeit.
Das Intro ist eine Herausforderung. Rosalie Thomass, aus der Karen-Duve-Verfilmung »Taxi« noch in guter Erinnerung, verkörpert eine verheulte Drama-Queen, die in theatralischem Selbstmitleid ertrinkt. Doch dann gelingt Dörrie eine Wendung, die diesem spröden Filmbeginn nachträglich Bedeutung gibt. Die gebrochen englisch sprechende Satomi (Kaori Momoi) möchte fort aus den Notunterkünften, in die sie gemeinsam mit anderen Bewohnern Fukushimas evakuiert wurde. Ob Marie Auto fahren könne? Schon tuckern die beiden in die abgesperrte Zone, die nach der Kernschmelze teilweise noch verstrahlt ist. Der Geigerzähler tickt. »Nicht so schlimm«, wiegelt Satomi ab.
Von ihrem Haus am Meer hat der Tsunami nur eine Ruine zurückgelassen. Schmutz, Trümmer, Schlamm und Gerümpel: ein bitterer Anblick für die Japanerin. Als hätte sie nicht schon genug durchgemacht, schließt sich ihr auch noch diese anstrengende Deutsche an. Widerstrebend nimmt Satomi, die letzte Geisha von Fukushima, Marie als Schülerin an. Es ist der Beginn einer etwas anderen Freundschaft. Bei dieser Wiederentdeckung der Langsamkeit atmet der schräg beginnende Film allmählich eine wohltuende Ruhe.
Zunächst scheint es, als lernte Marie nur japanischen Knigge. Wie man mit einfachsten Mitteln sorgfältig die Stube ausfegt. Und wie man bei der Teezeremonie nicht mit dem Geschirr klappert. »Only the cup and you. See just this moment. Nothing else«. Ein Hauch von Zen, gewiss. In solchen Lehrer-Schüler-Beziehungen wird eigentlich Kung-Fu vermittelt. Männer prügeln sich, um maskuline Triebüberschüsse zu bändigen. Mit ihrer konzentrierten Beobachtung zweier Frauen bürstet Dörrie solche kontemplativen Übungen überraschend gegen den Strich. Man ist nicht darauf gefasst, dass es um weibliche Identität geht. Bis Satomi ihre Schülerin anfährt, sie solle nicht so breitbeinig dasitzen. Sie möge ihr Geschlecht verstecken. Repressive Sexualmoral? Nein, es ist, als ob Marie aus einem typisch deutschen Film herausfällt und dabei allmählich enthysterisiert wird. In der aufkommenden Ruhe nach dem Sturm drückt sie die psychische Reset-Taste. Dabei macht auch das Schwarz-Weiß-Format Sinn. Die monochromen Bilder dieser postapokalyptischen Mondlandschaft werden zum Spiegel innerer Entleerung.
Allmählich bekommt Marie auch eine Antenne für die Seelenpein ihrer Lehrerin. Satomi gibt sich die Schuld am Tod ihrer letzten Schülerin, die in den Flutwellen ertrank und nun als Wiedergängerin herumspukt. Eine poetische Geistergeschichte. Das hätte schiefgehen können, doch Dörrie trifft erstaunlicherweise genau den Ton. Wenn die Frauen sich in der Abgeschiedenheit irgendwann auf die Nerven gehen, dann ist es Zeit für »vacation from radiation«. Der Ausflug der beiden in die Natur und anschließend nach Tokio steht im wirkungsvollen Kontrast zu dieser strengen filmischen Askese.
Unversehens rückt die Geschichte Satomis in den Vordergrund, zurückhaltend gespielt von der Kurosawa-Schauspielerin Kaori Momoi. Nach der nicht kitschfreien Trauerarbeit »Kirschblüten – Hanami« vertieft Dörrie ihre »Nippon Connection«. Ihre sensibel beobachtete Annäherung an zwei unterschiedliche Frauen aus einander fremden Kulturen ist ein etwas anderer Katastrophenfilm, der Aspekte der japanischen Kultur einer feministischen Lesart zugänglich macht. Allein das Schlussbild mit den Anti-Atomkraft-Demonstranten scheint redundant.
Kommentare
Wieso feministische Lesart?
Die Aspekte der japanischen Kultur gelten dort auch für Männer: Aufmerksamkeit, Rückhalten der Emitionen, ...
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns