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Delphi Arthaus Kino in Stuttgart. Foto: Arnulf Hettrich
Die Corona-Krise hat dramatische Folgen für sämtliche Bereiche der Filmwirtschaft. Kinos und Produzenten sind existenziell bedroht. Werden die Hilfspakete reichen?
Ist ein Happy End möglich? Na klar, sagen die Berliner Programmkinos. Sie haben als Reaktion auf den Corona-Shutdown eine Crowdfunding-Kampagne mit dem hübsch verheißungsvollen Titel »Fortsetzung: folgt« gestartet. Neben Spendenpaketen wie »Popcorn mit Einhorngeschmack«(5 Euro) und »Kinoliebe« (33 Euro) bietet die Arthouse-Allianz auch das grandiose »Happy End!« an – Kostenpunkt: schwer solidarische 1.000 Euro. Bis Anfang April hatten bereits zwei Kinoenthusiasten zugeschlagen. Ob das reichen wird für den sinnbildlichen Ritt in den Sonnenuntergang, ist eine jener bangen Fragen, die derzeit niemand beantworten kann.
Immerhin, die Maßnahmen waren umfangreich und vielseitig, seit die Welt des Kinos Mitte März ähnlich stakkatoartig zum Stillstand kam wie weite Teile der ganzen Gesellschaft. Der Schutzschild der Bundesregierung für kleine Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler; Schnellkredite für den Mittelstand; Kostenübernahmen durch öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender; ein Kurzarbeit-Tarifvertrag für Produktionsfirmen; Programmpreisprämien und Millionenhilfen aus Ländermitteln für die Kinos; dazu fantasievolle Spenden- und Unterstützungsinitiativen wie startnext.com/fortsetzungfolgt oder hilfdeinemkino.de – noch nie wurde in so kurzer Zeit ein so umfassendes Erste-Hilfe-Paket für die Branche geschnürt. Vermutlich sind all die Millionen aber auch nur das: erste Hilfe in einer Krise, die »für die gesamte Produktionslandschaft verheerend« ist (Constantin-Chef Martin Moszkowicz) und »einen historisch nie dagewesenen Einschnitt für die Kinobranche« darstellt (Christine Berg, die Vorstandsvorsitzende des Hauptverbands Deutscher Filmtheater).
Noch lässt sich nicht sagen, wie zerstörerisch sich der Abbruch der Produktion auf Firmen und Mitarbeiter auswirken wird. Die größeren Player wie Studio Hamburg, Bavaria Film, UFA Fiction oder Studio Babelsberg haben Kurzarbeit angekündigt, bauen Überstunden ab oder Minustage auf, um die Ausfälle abzufedern. Sie werden die Krise ziemlich sicher überstehen. Existenziell gefährdet sind dagegen die kleineren Produzenten: all jene, die von einem Projekt zum nächsten arbeiten und deren aktueller Titel irgendwo zwischen unvollendetem Dreh und abgesagtem Kinostart feststeckt. Gleiches gilt für Schauspieler und freiberufliche Crew-Mitglieder, deren Lebensmodelle von regelmäßiger Beschäftigung abhängen.
Im Grunde haben wir es mit einer Corona-Kettenreaktion zu tun, die mal mehr, mal weniger fatal in sämtliche Bereiche von Produktion und Verwertung hineinwirkt. Für die Produzenten fällt kurzfristig nicht nur das Kinoeinspiel weg, auch das DVD- und Blu-ray-Geschäft, immer noch ein nicht zu unterschätzender Faktor, leidet wegen der geschlossenen Geschäfte massiv. Der unfreiwillige Konsumverzicht wiederum führt unter anderem zum Einbruch der TV-Werbeeinnahmen – was sich ab einem gewissen Punkt auch auf Auftragsumfang und Lizenzdeals auswirken wird.
Mehr noch als die Produzenten, die nach dem Shutdown zumindest einiges aufholen werden, sind die Kinos gefährdet. Ihnen entgeht während der Schließungszeit pro Woche ein Umsatz von 17 Millionen Euro – Geld, das ähnlich wie in Gastronomie, Hotelgewerbe und Veranstaltungsbereich unwiederbringlich verloren ist. Leider lässt sich schon jetzt, kurz vor Ostern, absehen, dass die Filmtheater ähnlich wie Konzerthallen und Fußballstadien erst spät wieder fürs Publikum werden öffnen dürfen. Und ob der Andrang dann sonderlich groß sein wird? In China jedenfalls machten während des schrittweisen Shutdown-Endes die ersten wiedereröffneten Kinos wegen mangelnden Zuspruchs vorerst wieder zu.
Noch vor wenigen Monaten wagten wir anlässlich des derzeit tobenden »Streaming War« an dieser Stelle die optimistische Prognose, zwischen Kino und Streaming sei friedliche Koexistenz möglich. Eventuell wird die Corona-Krise das Verhältnis zwischen Filmtheater und Couchkino nun mächtig aus der Balance bringen und das hart umkämpfte Kino-Auswertungsfenster weiter unter Druck setzen. Neben Dutzenden Verschiebungen potenzieller Blockbuster wie »James Bond 007: Keine Zeit zu sterben«, »Black Widow« und »Wonder Woman 1984« haben sich diverse Produzenten ganz unterschiedlicher Couleur entschieden, ihre Filme vorzeitig oder gar exklusiv als kostenpflichtiges Streaming-Angebot verfügbar zu machen. Das gilt für Universal-Titel wie das Animationsspektakel »Trolls World Tour« und das Horror-Remake »Der Unsichtbare«, für »Die Känguru-Chroniken«, aber auch für Arthouse-Titel von Verleihern wie Real Fiction und Grandfilm, die ihre Einnahmen sogar mit den Kinos teilen. Niemand weiß, ob dies lediglich zur Schadensbegrenzung dient – oder ob hier neue Strukturen implementiert werden, die später nicht wieder rückgängig zu machen sind.
Der gerade gestartete Streaming-Dienst Disney+ dürfte zu den wenigen Gewinnern der Krise zählen. Die Abozahlen liegen deutlich über Plan, und als zusätzliche Werbemaßnahme hat der Mauskonzern den Streaming-Start von »Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers« (4.5.) und »Die Eiskönigin 2« (24.7.) vorgezogen. Ungeschoren aber kommen auch die Streaming-Giganten nicht durch die Krise. Netflix, das ein 100-Millionen-Dollar-Hilfsprogramm aufgelegt hat, um seinen Crews wenigstens die Mindestgagen weiterzuzahlen, musste gleich 70 Produktionen stoppen. Womöglich wird sich der komplette TV- und Streaming-Markt demnächst mit Nachschubproblemen auseinandersetzen müssen.
Dem Kino droht dagegen ein Filmstau. 10 bis 15 Filme starten in einer regulären Programmwoche, da kommt je nach Dauer der Schließungszeit schnell eine dreistellige Menge an Titeln zusammen, die sich dereinst um die Leinwände balgen werden. Kein leichter Job für die Verleiher, die aktuell sämtliche Marketing-Kampagnen abschreiben und sich, wie alle anderen, auf eine längere Durststrecke einstellen müssen. Die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) hat ausgerechnet, dass sich die Umsatzeinbußen der Branche bei einem dreimonatigen Ausfall auf zwei Milliarden Euro belaufen. Rund ein Drittel der 80.000 Arbeitsplätze sind gefährdet. Ihr Vorschlag: ein Stabilitätsfonds für die Filmwirtschaft. Damit es auch wirklich zum Happy End kommt.
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