Kritik zu Zerrissene Umarmungen
Ein blinder Schriftsteller, der einst Regisseur war, ein toter Industrieller, der einst ein mächtiger Mann war, und eine schöne Frau, die beide einst sehr geliebt haben – und Almodóvar zitiert sich selbst
Pedro Almodóvar ist offenbar noch tiefer als sonst abgetaucht in das Labyrinth der Leidenschaften, Anspielungen und Verweise auf die Kinogeschichte. Selbst Aficionados werden ihm diesmal nicht ganz folgen und das verschachtelte Vexierbild über Liebe, Ausbeutung und Filmproduktion wohl als gekünstelt bemäkeln. Glücklicherweise ist Almodóvar dies heute so egal wie 1988. Nach dem Erfolg der Komödie »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs«, die ihn über Nacht weltberühmt machte, inszenierte er drei wundervolle Filme (»Fessle mich!«, »High Heels« und »Kika«), in denen er, von Kritik und Publikum verschmäht, jene überbordende Bildsprache perfektionierte, für die er ab Ende der neunziger Jahre zwei Oscars erhielt und zum erfolgreichsten Autorenfilmer Europas aufstieg.
Nach weiteren sechs Filmen, deren Erfolge sich fast jedes Mal steigerten, spürt man deutlich, dass Almodóvar nun wieder ästhetisch Luft holt, die Taktfrequenz erhöht und noch kompromissloser erzählt. In seinem mit 128 Minuten längsten Film stellt er sich selbst und sein Werk spielerisch infrage. Nicht zufällig basiert die Grundidee auf einer fiktiven Revision seiner Erfolgskomödie von 1988, deren Film-im-Film-Remake er »Frauen und Koffer« nennt – nach jenem Koffer, den ein gewisser Herzensbrecher namens Iván aus Feigheit vor seiner hysterischen Ex nicht abholen will. Almodóvar entwirft ein Szenario, in dem dieser Film von einem eifersüchtigen Produzenten wahrhaft filmreif »zerstört« wird: Aus Rache dafür, dass sein Regisseur Harry Caine – Almodóvars erklärtes Lieblings-Pseudonym – mit der Geliebten des Produzenten durchbrennt, lässt dieser den unfertigen Film aus all jenen Takeouts montieren, die eigentlich aussortiert worden waren. Mit dem augenzwinkernden Ergebnis, dass »Frauen und Koffer« im Kino durchfällt – und es Almodóvar, so wie wir ihn kennen, nicht gibt. Tabula rasa. Er muss sich selbst neu erfinden, und davon handelt »Zerrissene Umarmungen«.
Auch diese Idee hat biografische Wurzeln. Almodóvars dritter und erster künstlerisch relevanter Film »Entre Tinieblas« – der nie in deutschen Kinos lief, weswegen er den unsensiblen TV-Titel »Das Kloster zum heiligen Wahnsinn« trägt – wurde 1983 von dem spanischen Millionär Hervé Hachuel finanziert, weil dessen ausgehaltene Geliebte in einem Almodóvar-Film auftreten wollte. Im Gegensatz zu Cristina Pascual – die sich als mäßige Darstellerin entpuppte, so dass Almodóvar seinen Film an ihr vorbei inszenierte – kann der Spanier heute auf Penélope Cruz zurückgreifen, die seinen wunderbar verstiegenen Ideen Gestalt verleiht.
Cruz spielt die Sekretärin Lena, die Mätresse ihres Bankier-Chefs Ernesto Martel wird, weil dieser ihrem krebskranken Vater einen Aufenthalt in einer Privatklinik ermöglichte. Für Almodóvar typisch, wird dieser Liebeshandel hemmungslos überzeichnet, indem Lena in einer Szene so viel Goldschmuck trägt, dass sie damit sogar in der Badewanne ertrinken würde. In der witzigsten Szene hofft Lena später, Ernesto sei nach dem Sex an einem Infarkt gestorben. Penélope Cruz ist hier wunderbar: Abwartend glücklich sitzt sie am Bettrand und zündet eine Zigarette an – als Ernesto wie ein Zombie aufersteht und sie rau umarmt: Abrazos rotos.
Lenas Begegnung mit dem Regisseur Harry Cane (großartig: Lluís Homar) gipfelt in einer Affäre, die Ernesto von seinem schwulen Sohn überwachen lässt, der über die Dreharbeiten einen Dokumentarfilm dreht. Wenn Ernesto in der Geste eines Filmtycoons dieses stumme Material später sichtet und sich das Liebesgeflüster zwischen Lena und Harry von einer Lippenleserin synchronisieren lässt, so ist diese voyeuristische Eifersucht gruselig pervers und schreiend komisch zugleich.
Wie immer lebt Almodóvars Film von einer kaum beschreibbaren, wuchernden Überfülle derart skurriler Ideen und skizzierter Filmideen, so dass man Zerrissene Umarmungen mehr noch als die früheren Werke auf mehreren Ebenen wie eine Partitur lesen muss.
Nachdem die eruptive Geschichte nach zahlreichen Zeitsprüngen und Film-im-Film-Episoden erloschen ist wie ein Vulkan, führt ein bemerkenswerter Epilog wenigstens einige der Fäden zusammen: 14 Jahre nach seiner Erblindung und dem Verlust seiner Geliebten erfährt Harry, dass die Negative seines Misserfolgs »Frauen und Koffer« aufbewahrt wurden. Nun setzt er sich von neuem an den Schneidetisch. So endet »Zerrissene Umarmungen« mit der Variation einer Szene, die wir aus »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs« bestens kennen: Damals klingelte es immer wieder an der Apartmenttür, und Pepa alias Carmen Maura öffnet jedes Mal in der Hoffnung, ihr Geliebter Iván stünde vor ihr. In der paraphrasierten Szene in »Frauen und Koffer« sehen wir nur den bewegten Blick von Penélope Cruz, der uns sagt, dass hier jemand ganz besonders im Film-im-Film »angekommen« ist. Almodóvar selbst ist nun eine Figur seiner Filme. Mal sehen, wie er da wieder rauskommt.
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