Kritik zu The Wind That Shakes the Barley

Trailer englisch © IFC Films

Der Engländer Ken Loach ist einer der letzten »Linken« des internationalen Kinos. Auch in seinem neuen Film bricht er der Freiheit eine Lanze. In Cannes hat er im letzten Jahr dafür die Goldene Palme bekommen.

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Nur einen Moment währt die Idylle des Anfangs. Da gibt sich eine Gruppe von Männern auf einem sattgrünen Stück irischen Grases dem Hurling hin, einer Art von Hockeyspiel. Schon bald werden viele dieser Männer rekrutiert werden, um für die Freiheit Irlands gegen die britischen Besatzer zu kämpfen – mit der Waffe in der Hand, die sie zunächst einmal den Briten abnehmen müssen. Bei ihrem ersten militärischen Training tragen sie noch die Hockeyschläger anstelle der Gewehre.

Man schreibt das Jahr 1920, und einer der Freiwilligen ist der angehende Arzt Damien, der zu Beginn eigentlich nach London gehen wollte, um seine Ausbildung fortzusetzen. Er besinnt sich aber anders, als er auf dem Bahnhof Zeuge wird, wie britische Soldaten die Eisenbahner misshandeln, die sie nicht befördern wollen.

Der jüngste Film von Ken Loach beschäftigt sich mit der Last der Geschichte, in diesem Fall dem immer noch virulenten Nordirlandkonflikt, bei dem sich das britische Empire ebenso wenig mit Ruhm bekleckert hat wie bei anderen 'ausländischen Abenteuern'. Zu deren aktuellsten Ausprägungen liegen hier, zumal in den Folterszenen, die Parallelen auf der Hand, aber das ist eher zwangsläufig. Vor allem steht der Film in der Reihe jener Loach-Filme, die ebenfalls den Freiheitskampf thematisierten (»Land of Freedom«, »Carla's Song«) und dem Umschlagen von revolutionären Bewegungen in ihr Gegenteil, in die kompromissbereite 'Realpolitik'. Das war schon das Thema seines vierteiligen Fernsehfilms »Days of Hope« (1976) gewesen, der die Entwicklung der britischen Labour Party in den zwanziger Jahren beleuchtete, anhand des Lebenswegs zweier Freunde, von denen der eine sich am Ende als Labourabgeordneter gegen die streikenden Arbeiter stellt – und auch gegen seinen Freund, der sich mittlerweile radikalisiert hat. Im neuen Loach-Film werden die verschiedenen Positionen von zwei Brüdern besetzt, dem idealistischen Arzt Damien und dem pragmatischen Teddy. Der verteidigt zum Beispiel einen Ladenbesitzer, der von einem republikanischen Gericht wegen Wucher zur Rechenschaft gezogen wird, mit der Begründung, Leute wie er würden ihnen Geld für Waffen geben.

Loachs Protagonisten sind weniger Individuen, als dass sie für bestimmte Iden stehen. Wenn Damien einmal sagt, »Ich habe fünf Jahre lang Anatomie studiert – und jetzt werde ich diesem Mann in den Kopf schießen«, dann ist das zwar eine präzise Beschreibung seines Zwiespalts angesichts der Exekution eines Jungen (der unter dem Druck seines Arbeitgebers und britischer Offiziere zum Verräter wurde), aber auch genau das, was der Zuschauer in diesem Moment erwartet.

Loachs vorangegangener Film »Just a Kiss« zeigte zwei Individuen und zelebrierte deren Lebenslust (in einer Weise, die man Loach nicht zugetraut hätte), trotz der Einschränkungen durch religiöse Traditionen und kulturelle Differenzen. In »The Wind That Shakes the Barley« dagegen können die Menschen von einem Leben ohne Zwänge nur träumen oder aber dafür kämpfen. »I can't feel anything«, gesteht Damien Sinead in der Mitte des Films, als sie den Wunsch äußert, sie »möchte Zeit mit ihm verbringen«.

Der Film unterstreicht diese Sehnsucht, indem er die Szenen, in denen die Beiden kurze Momente der Zweisamkeit erleben, wiederholt in einer Abblende enden lässt. Das ist ein so präzises wie unaufdringliches filmisches Mittel, das zeigt, dass Loach durchaus die Filmsprache beherrscht. Andererseits führt dieses Unterdrücken von Gefühlen zu einer Distanz des Zuschauers zu den Figuren – einer Distanz, die der Filmemacher in Filmen wie »Just a Kiss«, »Riff Raff« oder »The Navigators« einziehen konnte, weil deren Protagonisten eben nicht das Gewicht der Welt zu tragen hatten.

So bemerkenswert es ist, wie Loach das Spiel seiner Darsteller auf eine Linie bringt, seien es nun Laien, gestandene character actors wie Roger Allam (in »Die Queen« als Privatsekretär der britischen Königin zu sehen) als Großgrundbesitzer Sir John, und Schauspieler, die bereits Stars sind oder Starqualitäten haben wie Cillian Murphy (als Damien), der so vieles mit seinen blauen Augen ausdrücken kann, so sehr bedaure ich doch die Reduktion aufs Funktionale.

Im Gedächtnis bleibt »The Wind That Shakes the Barley« daher mehr als Geschichtsstunde über ein verdrängtes Thema, die zu sich findet in einer Reihe sorgfältig konstruierter Parallelen. So wird das Haus von Sineads Familie viermal zum Ort der Gewalt: Hier wird ein Verwandter von den britischen Soldaten zu Tode gequält, später wird das Haus von diesen in Brand gesetzt und Sinead selbst Gewalt angetan, nach dem Waffenstillstand kommen die neuen irischen Truppen (deren Angehörige in der ersten Szene zu den Malträtierten gehörten) und durchsuchen es ebenfalls nach Waffen, in der letzten Szene des Films übergibt Teddy Sinead hier den Abschiedsbrief von Damien, dessen Exekution (wegen Nichtpreisgabe des Waffenverstecks der Rebellen) er eigenhändig befehligte.

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