Kritik zu Wie wilde Tiere

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In Rodrigo Sorogoyens vielfach ­ausgezeichnetem Film treffen Aussteiger-Ökobauern aus Frankreich auf alteingesessene galizische Viehhalter. Der Konflikt eskaliert

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Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.« Der Satz stammt aus Friedrich Schillers Zitatenschatzkiste »Wilhelm Tell« und trifft den Nagel auf den Kopf: »Wie wilde Tiere« des spanischen Regisseurs Rodrigo Sorogoyen erzählt von einem Mikrokonflikt, der sich auswächst, bis er ganze Existenzen vernichtet hat. Im vorliegenden Fall vergällen die Viehhalter-Brüder vom Nebengrundstück dem neu zugezogenen Ackerbauern und seiner Frau das Dasein; wie es aussieht, aus keinem anderen Grund als dem der Missgunst und des Misstrauens – Fremden gegenüber und deren neuen Ideen.

Antoine war die treibende Kraft hinter dem Aufbruch, und Olga, seine Frau, ist ihm gefolgt, weil sie ihn liebt. Gemeinsam verließen sie die Stadt, verließen Frankreich und zogen über die Grenze nach Spanien, irgendwo ins Hinterland Galiziens, um dort einen kleinen Bio-Hof aufzubauen. Als die Handlung einsetzt, schätzt man auf dem Markt bereits ihr Gemüse und bestellt die Tomaten noch vor der Ernte; doch die Ortsansässigen in der Dorfkneipe beäugen das Akademiker-Paar aus dem Nachbarland mit seinen modernen Vorstellungen argwöhnisch. Zumal »der Franzose«, wie sie Antoine etwas abschätzig nennen, seine Zustimmung zur Errichtung eines Windparks verweigert, der zwar die wirtschaftliche Entwicklung des überalterten Landstrichs voranbringen, zugleich aber dessen landschaftliche Schönheit zerstören würde. »Der Franzose« hat andere Pläne, er hofft auf Wanderer und Erholungssuchende und renoviert verlassene Häuser, um gesellschaftliches Leben zurückzubringen. Obendrein setzt sich die ideologische Konfliktlinie geografisch fort: zwischen Antoines und Olgas Hof und dem Nachbargrundstück, wo mit Xan und Lorenzo Anta ein Brüderpaar lebt, das einen allzeit gewaltbereiten spanischen Machismo repräsentiert. Gemischt mit der angriffslustigen Aggression der vermeintlich Abgehängten ergibt sich in den beiden ein böses Gebräu, das in der Folge gefährlich wirksam wird.

Was in »Wie wilde Tiere« aufeinanderprallt, sind unterschiedliche Perspektiven auf die Gestaltung der Zukunft: Öko-Utopie versus nachhaltige Entwicklung, Subsistenzwirtschaft versus umweltverträglichen Fortschritt, multikulturelles Bewusstsein versus konservativen Traditionalismus. Da müssten sich doch Gemeinsamkeiten und Kompromisse finden lassen, denkt man noch, während das Geschehen bereits die nächste Eskalationsstufe erreicht. Und nicht zuletzt wegen der Bösartigkeit, die Luis Zahera und Diego Anido in ihr Spiel der tödlichen Anta-Brüder legen, packt einen nunmehr das nackte Grauen.

Das Schlusskapitel dieses mit neun Goyas in den Hauptkategorien ausgezeichneten Dramas stellt am Ende, und um einen hohen Preis, so etwas wie eine moralische Ordnung gerade so wieder her. Die Erinnerung freilich kann dieser Sieg der Zivilisation über die Bestien (»As Bestas« ist der Originaltitel) nicht auslöschen: Erinnerung weniger an die Schrecklichkeit des Verbrechens als vielmehr die Leichtigkeit, mit der es begangen wurde.

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