Kritik zu Waren einmal Revoluzzer
Zwei befreundete Paare, »bourgeois bohémiens«, helfen einem alten Freund bei der Ausreise aus Russland. Als auch Pawels Frau samt Kind und Haftbefehl auftaucht, wird die Haltung der freisinnigen Städter auf die Probe gestellt
Wenn nur nicht immer irgendwas dazwischenkäme, dann wäre die Welt längst ein besserer Ort. So mancher schon ist frohen Mutes angetreten, die Verhältnisse zu ändern, nur um dann festzustellen, dass die alltägliche Bequemlichkeit ein nicht leicht zu vertreibender Schweinehund ist. Es sind die hehren Ideale, sind die guten Vorsätze, die den Weg zur Hölle pflastern, und die die österreichische Regisseurin und Drehbuchautorin Johanna Moder in »Waren einmal Revoluzzer« ins Visier nimmt, um sie einem Realitätscheck zu unterziehen.
Pawel heißt der Freund aus alten Zeiten, der in Russland offenbar in Schwierigkeiten geraten ist und den man nun, mit Abenteuerlust am klandestinen Treiben, nach Wien zu holen beschließt. Schließlich war man ja mal, wenn schon nicht revolutionär, so doch nonkonformistisch-kritisch eingestellt und stets darum bemüht, das Gute und Richtige zu tun; und sei's nur, indem man den Müll sauber trennte. »Man«, das sind Helene und Jakob sowie Tina und Volker, zwei befreundete Paare, Kinder der Post-68er, Angehörige einer gut situierten Mittelschicht, die in Berlin Prenzlauer Berg als Bionade-Bürgertum berüchtigt ist und in Wien abschätzig »Bobos« geheißen wird, ein Neologismus für »bourgeois bohémiens«.
Doch nicht nur Pawel steht dann am Bahnhof, sondern auch dessen Frau Eugenia, das gemeinsame Kleinkind im Arm. Denn es ist Eugenia, die in Russland die Klappe nicht halten konnte und nun mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird. Bei Helene, die als Richterin arbeitet, schrillen die Alarmglocken; die Beherbergung einer Gesuchten könnte sie den Job kosten. Und so wird die russische Kleinfamilie in Not weitergereicht von gemütlicher Altbauwohnung zu stylischer Altbauwohnung zu rustikalem Wochenendbauernhaus, und alle finden sie Gründe und Ausflüchte, warum »es jetzt grad nicht passt«, während sie zugleich, das Brett vorm eigenen Kopf nicht achtend, den Splitter im Auge des Gegenübers kritisieren.
Moders Drehbuch, das in Zusammenarbeit mit den Schauspielern Marcel Mohab (Volker) und Manuel Rubey (Jakob) entstand, nimmt unter anderem Bezug auf Ereignisse während der sogenannten Flüchtlingswelle, als Wiener:innen in großer Zahl an die nahe gelegenen Grenzen fuhren und dort Gestrandete ins Land holten. Eine großherzige Geste der postulierten »Willkommenskultur«, die bald schon Ermüdungserscheinungen und Haarrisse zeigte. Es ist dem herausragenden schauspielerischen Ensemble – in den Rollen der Frauen agieren Julia Jentsch und Aenne Schwarz – zu verdanken, dass eben diese Haarrisse in ihrer Feinheit sichtbar werden. Zum Beispiel das schlecht verhohlene, Unangenehm-überrascht-Sein von Helene, als sie Pawel abholt und deutlich wird, dass sie eigentlich noch etwas ganz anderes als Hilfe im Sinne hatte. Oder das Hadern ihres erfolglosen Musikergatten Jakob, den die Anwesenheit der Fremden mit Schmackes auf den Stillstand in seinem eigenen Leben stößt; ein Umstand, den er diesen durchaus übel nimmt. Das alles ist schon auch mal komisch, es ist aber meist sehr bitter. Weil wahr.
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