Kritik zu Verlorene

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In seinem Familiendrama erzählt Felix Hassenfratz von zwei Schwestern in der badischen Provinz und ihrem schwierigen, komplizierten Verhältnis zum verwitweten Handwerker-Vater

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Es sind zwei sehr unterschiedliche Schwestern: die ernste 18-jährige Maria (Maria Dragus), die ihre ganze Leidenschaft dem Orgelspiel widmet und die Mutterrolle in der kleinen Familie in der badischen Provinz eingenommen hat, und die jüngere, rebellische Hannah (Anna Bachmann) mit ihren blau und rot gefärbten Haaren, die Alkohol und Pillen mit ihrer Clique ausprobiert. Der einen hört der Vater Johann (Clemens Schick) abends an den Kachelofen gelehnt beim Klavierspiel zu, mit der anderen rauft er auf dem Sofa vor dem Fernseher. Es sind zwei unterschiedliche Rollen, die diese beiden Mädchen einnehmen und früh wird im Kinodebüt von Felix Hassenfratz klar, dass diese Rollen sehr viel weiter gehen, als sie gehen sollten.

Etwa 45 Minuten dauert es, bis das Geheimnis, das dem Zuschauer längst unheilvoll dämmert, gelüftet wird. Da ist der junge Zimmermann Valentin (Enno Trebs), der sich auf der Walz befindet, bereits bei der Familie des Zimmermannmeisters Johann eingezogen und zwischen ihm und Maria hat sich eine besondere Nähe entwickelt. Es ist wohl die von Valentin ausgestrahlte Freiheit und die gemeinsame Liebe zum Orgelspiel, die Maria an ihm fasziniert, und es ist auch die selbstbestimmte, erwachende Sexualität, die sie doch so schwer ausleben kann. Unterdessen hat Hannah entdeckt, dass sich Maria mit einer Nadel im Unterleib verletzt – und nicht nur das.

Hassenfratz lässt dieses Familiendrama irgendwo in einem Kaff im Badischen spielen, einer Region, aus der er selbst stammt. Viel gesprochen wird da nicht – und wenn dann mit stärkstem Dialekt, was für ungeübte Ohren zur Herausforderung werden wird. Zugleich könnte die Wahl des Ortes auch als Schwachpunkt des Films erscheinen, macht sie es doch für manche Zuschauer einfach, Missbrauch als Hinterwäldler-Phänomen abzutun. Hassenfratz aber will seine Geschichte universell verstanden wissen.

Dabei haben seine Figuren (und die Geschichte sowieso) so viel Potenzial: das Pflichtbewusstsein Marias und der Wunsch, die jüngere Schwester zu beschützen und damit alles Leid auf sich zu nehmen. Und Hannah, die sich trotz ihres Abscheus für den Missbrauch fragt, ob etwa der Vater die ältere Schwester mehr liebt als sie selbst.

Hassenfratz überlädt die Geschichte mit Symbolen und Bildern: Da ist die Musik von Johann Sebastian Bach, das Leid, das Jesus auf sich nimmt und Sätze von Maria wie: »Es geht nicht darum, dass er stirbt. Es geht um Vergebung.« Oder da sind die beiden Zimmermänner, Vater Johann und Geselle Vincent, die gemeinsam den Dachstuhl der Kirche restaurieren, jeder an der einen Seite der Säge zerrt, um den Balken zu zersägen. Die Kamera (Bernhard Keller), die immer ganz nah an den Figuren ist, richtet sich dabei ausschließlich auf den Vater Johann und weckt die Assoziation an eine vorherige Szene mit rhythmischen Bewegungen. Subtil ist das ebenso wenig wie das gegensätzliche Schwesternpaar. Und so will »Verlorene« oft fast zu viel – aber bleibt ein stiller, beklemmender Film, der lange nachhallt.

Meinung zum Thema

Kommentare

Verlorene ist einer der Filme, die man oft nur auf Filmfestivals zu sehen bekommt. Ein deutsches Kino, das so viel besser ist als sein Ruf. Umso schöner zu lesen, dass der Film nun regulär im Kino startet. Die Darsteller sind allesamt fantastisch! Eine berührende Geschichte wie man sie nicht oft erzählt bekommt.

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