Kritik zu The Town – Stadt ohne Gnade
Was ist eigentlich dran am Film noir, dass man ihn noch Jahrzehnte nach seiner Blütephase ständig wiederbeleben will? Ben Affleck versucht sich nach seinem Regiedebüt mit »Gone Baby Gone« schon zum zweiten Mal am »Neo-Noir«
Der Wille, es den großen Genrevorbildern des Film noir nachzutun, ist schon in den ersten Einstellungen von The Town nicht zu übersehen: Dieser Film will ebenso »gritty« sein, so »hardboiled«, so düster und direkt. The Town spielt in Charlestown, einem Stadtteil von Boston, den eine Schrifttafel zu Beginn als Hauptstadt des amerikanischen Bankräubertums vorstellt, als Ort, an dem die Kunst des Überfalls quasi als Handwerk von Vater zu Sohn übertragen wird. Keine fünf Minuten später sieht man einen Trupp dieser geübten Handwerker bei der Arbeit. Jeder Griff sitzt, jede Bewegung scheint wohlüberlegt, alles erfolgt mit der entsprechend exakt dosierten Gewalt. Doch auch bei Profis wie Doug MacRay (Ben Affleck) und seiner Crew geht manchmal etwas schief, besser gesagt: kommt es zu zunächst klein scheinenden Fehlern, die ihre verheerende Konsequenz erst viel später offenbaren. Wie die Sache mit der Filialleiterin Claire (Rebecca Hall), die der aufbrausende Jem (Jeremy Renner) plötzlich zur Geisel nimmt, als sie überhastet abziehen müssen. Ihr Bankräuberprofitum aber zeigt sich gerade darin, wie sie ihre Coolness bewahren, auch wenn es mal nicht so glatt läuft. Als sie Claire aussetzen, sind sie sich sicher, dass sie keinen von ihnen erkannt hat.
Da aber kommt der fatale Zufall, jenes wichtige Film-noir-Element, zum Zuge. Claire, so stellt sich heraus, wohnt mit den Bankräubern im selben Viertel. Hat sie vielleicht doch mehr gesehen? Doug nimmt es auf sich, sie »auszuchecken«, und findet – das ist nur für ihn und nicht für den Zuschauer eine Überraschung – Gefallen an ihr. Um sie für sich zu gewinnen, muss er ihr natürlich verschweigen, wer er eigentlich ist. Zugleich aber entsteht aus diesem Zwiespalt und seiner wachsenden Zuneigung der Wunsch, gemeinsam mit Claire fortzugehen, um woanders neu anzufangen. Eine klassische Noir-Situation also. Aber, auch das ist wie gehabt, dem stehen gleich mehrere Kräfte entgegen. Da gibt es den zynischen »Paten« des Viertels, verkörpert vom meisterhaft fiesen Pete Postlethwaite, der sozusagen als Ablöse einen »letzten Job« von ihm erpresst. Und es gibt Jem, den Jugendfreund und partner in crime, der ebenfalls ein starkes Pfund gegen ihn in der Hand hat: Jem hat neun Jahre Gefängnis auf sich genommen, um Doug nicht zu verraten. Und dann tritt auch noch Jems Schwester auf den Plan, mit der Doug vor Jahren ein Verhältnis hatte, aus dem ein Kind hervorging.
Das Ende ist vielleicht nicht ganz das, was man in einem Film noir erwartet hätte, aber ansonsten gilt, dass Ben Affleck als Regisseur ganz ähnlich agiert wie als Schauspieler: Er begnügt sich damit, es so gut zu machen wie andere. Zu einer eigenen Handschrift aber, geschweige denn zur Beantwortung der Frage, was er vom Genre eigentlich will, bringt er es nicht. Außerdem, das ist vielleicht noch bedauerlicher, geraten ihm über der Doppelrolle als Hauptdarsteller und Regisseur seine Co- Stars aus dem Blick, und weder die wunderbare Rebecca Hall noch der ausdruckstarke Jeremy Renner noch der gutaussehende und dank »Mad Men« populär gewordene Jon Hamm als FBI-Agent erhalten Gelegenheit, ihre Figuren wirklich zu entfalten.
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