Kritik zu Talk to Me
Es beginnt als gutes altes Partyspiel, aber dann wird es ernst und blutig. Das Regieduo Danny und Michael Philippou liefert einen zünftigen Horrorfilm, der bei der Premiere in Sundance gefeiert wurde
Die gefühlsmäßig Labilen sind der Monstren leichte Beute. Wer Kummer und Sorgen hat, ist abgelenkt vom Alltagskram, ist nicht ganz da im Hier und Jetzt. Ein Gemütszustand, den die Jenseitigen wittern und der sie magisch anzieht. Dergleichen magnetische Wirkung geht auch von Teenagerin Mia aus, die mit dem bereits eine Weile zurückliegenden Tod ihrer Mutter hadert; war es ein Unfall? Selbstmord? Mord gar? Tief ist ihr Unglück, und mit dem Vater mag sie nicht reden, macht sie ihn doch auf diffuse Weise für ihren Verlust verantwortlich. Da kommt ein unheimliches Mutproben-Spiel, das Mias jugendliche Bezugsgruppe auf eigens anberaumten Partys spielt, gerade recht. Eine einbalsamierte, abgetrennte Hand muss dabei ergriffen werden und bestimmte Worte gesprochen – was dann geschieht, macht auf Clips im Netz die Runde, sieht grausig genug aus und ist als »Mikro-Besessenheit« trefflich beschrieben. Was Teenies allein zu Haus halt so machen, unbekümmert um die Folgen und also bald schon bis zum Hals in Schwierigkeiten steckend; denn Mia glaubt, mit dem Geist ihrer Mutter in Kontakt getreten zu sein und überschreitet das absichernde zeitliche Limit . . .
Seit seiner internationalen Premiere im Januar diesen Jahres beim Sundance Film Festival sorgt »Talk to Me«, Spielfilmdebüt der australischen YouTuber-Brüder Danny und Michael Philippou, für Furore. Ein ungewöhnlich gelungener Horrorfilm sei das, heißt es, und schon möchte man gähnen, ist dergleichen doch allzu oft zu lesen und außer ein paar Jahrmarktserschreckern dann meist doch nichts gewesen. Im vorliegenden Falle aber ist die Begeisterung berechtigt und Freundinnen des Genres sei »Talk to Me« eindringlich ans Herz gelegt. Und das Anschnallen bitte nicht vergessen, denn die beiden Philippous machen hier keine Faxen.
Das angeschlagene Tempo ist rasant und wird gehalten, ebenso rasch wird es brutal und blutig, und das bleibt dann auch so. In der Schilderung seines alles andere als banalen Schreckens ist »Talk to Me« unnachgiebig und hart; dass derselbe einem aber derart einfährt, ist Charakterisierung und Schauspiel zu danken, zwei Zutaten also, mit denen das Horrorgenre oft allzu sparsam umgeht. Diesmal jedoch nicht; wobei insbesondere Sophie Wilde hervorzuheben ist, die in der Rolle der Mia Verletzlichkeit und Verunsicherung mit dem Mut der Verzweiflung paart und ihre Figur zwischen zerbrechlich und zäh schillern lässt. Ihre Tragödie besteht darin, dass sie das prädestinierte Opfer unter anderem deswegen ist, weil sie sich standhaft weigert anzuerkennen, dass sie längst schon verloren hat. In geradezu herzergreifender Weise drückt sich darin der unerschütterliche Glaube der Jugend an die eigene Unverwundbarkeit und den guten Ausgang aus.
Furcht und Mitleid, das wusste schon der alte Lessing, der sich damit auf den noch viel älteren Aristoteles bezog, zeitigt im (Lichtspiel-)Theater die stärkste Wirkung reinigender Erkenntnis: Wenn einem nicht nur ein kleiner Finger gereicht wird, könnte anschließend etwas mehr als nur die Hand fehlen.
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