Kritik zu Stellet Licht

© Peripher Filmverleih

2007
Original-Titel: 
Stellet Licht
Filmstart in Deutschland: 
02.04.2009
L: 
136 Min
FSK: 
12

Die gängige Geschichte über die Sehnsucht nach Glück, die nur Unglück hervorbringt, vom Mexikaner Carlos Reygadas auf radikal neue Weise erzählt

Bewertung: 3
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Es werde Licht: Über dem Horizont verblasst langsam der Sternenhimmel, und das Morgenrot schickt seine ersten Strahlen über das Land. Begleitet nicht von Pauken und Trompeten wie der Sonnenaufgang in Kubricks »2001 – Odyssee im Weltraum«, sondern von einem Konzert von Vögeln und Insekten. Sechseinhalb Minuten dauert diese spektakuläre Einstellung, mit welcher der mexikanische Regisseur Carlos Reygadas das Publikum auf seinen wahrhaft eigenwilligen Film einstimmt.

Ein Land der Stille ist diese Ebene im Norden Mexikos, wo sich eine Mennonitengemeinde niedergelassen hat. Man spricht Plautdietsch, eine Variante des Niederdeutschen, die sich bei dieser isoliert lebenden Gemeinschaft erhalten hat. Im Glauben streng, zeigt man sich dennoch gewissen Segnungen der Zivilisation gegenüber liberal, Traktor und Pick-up sind erlaubt, Telefon und Fernsehen nicht. Man spricht wenig, selbst die Gebete am Tisch der mennonitischen Familie bleiben stumm, und die Menschen scheinen sich nur über das Nötigste auszutauschen. Aber der Versucher hat auch unter diesen gottesfürchtigen Menschen seine Opfer gefunden. Vater Johan (Cornelio Wall) nämlich, Haupt der achtköpfigen Familie, hat eine Geliebte, Marianne (Maria Pankratz), seine Frau Esther (Miriam Toews) weiß davon. Innerlich zerrissen zwischen den Glaubensgeboten und seinen Gefühlen für die andere Frau, beladen von einer unentrinnbaren Schuld, sitzt Johan zu Beginn weinend in seinem Haus, hält die Pendeluhr an, als könne er eine Auszeit von seinen Problemen nehmen.

Ein Mann zwischen zwei Frauen, das ist gewiss kein neues Kinothema. Was Reygadas’ Film auszeichnet, ist der Zugriff auf das Thema, den man von dem Regisseur, der in »Japón« (2002) und »Batalla en el cielo« (2005) mit Gewalt- und Sexualtabus spielte, kaum erwartet hätte. Reygadas gibt seinem Film einen bisweilen quälend langsamen Erzählduktus, verzichtet dabei weitgehend auf Dialoge und Musik. Viele Szenen werden mit Panoramaeinstellungen, Totalen oder Halbtotalen eingeleitet, dann kaum wahrnehmbar herangezoomt, der Zuschauer wird aber immer auf Abstand gehalten, selbst bei Nahaufnahmen und Momenten größter Intimität.

Man mag das Statuarische der Figuren und den Bedeutungsballast, den die Bilder zuweilen transportieren, für überzogen halten. Gleichwohl gelingt es Reygadas, die Zuschauer in die Welt seiner Protagonisten, allesamt Laiendarsteller aus verschiedenen mennonitischen Gemeinden, mitzunehmen, ohne sie mit Elementen des Melodrams zu überwältigen. Was wir fast mit den Augen des Dokumentaristen sehen, sind Menschen, denen die Last ihres Unglücks – und als solches wird es auch von den beiden Liebenden empfunden – buchstäblich das Herz bricht, weil die Macht der religiösen Tradition einen diskursiven, und das heißt: menschlichen Umgang mit Konflikten nie zugelassen hat. Das Wunder, das sich am Ende – ausdrücklich in Anlehnung an Carl Theodor Dreyers Film »Ordet« (1955) – ereignet, ist freilich nur um den Preis eines anderen Opfers zu haben. Der Tag neigt sich, die Uhr tickt wieder, das Leben geht weiter.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt