Kritik zu Speer Goes to Hollywood

© Salzgeber

2021
Original-Titel: 
Speer Goes to Hollywood
Filmstart in Deutschland: 
11.11.2021
L: 
97 Min
FSK: 
12

»Inside the Third Reich« hieß das Filmprojekt, an dem in den frühen 70er Jahren der Rüstungsminister der Nazis, Albert Speer, und der junge Drehbuchautor Andrew Birkin arbeiteten. Die Gespräche haben sich erhalten

Bewertung: 4
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Am 1. Oktober wird Albert Speer aus seiner 20-jährigen Haft in Spandau entlassen. Das Internationale Militärtribunal in Nürnberg hatte 1946 Hitlers Günstling und Leibarchitekten und den späteren Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Speers Entlassung ist ein gigantischer Medienevent. Mit einer Wagenkolonne, natürlich Mercedes, fährt er aus der Haftanstalt, begleitet von Filmkameras und den Blitzlichtern von Hunderten von Reportern. Kurz stellt er sich an die Mikros. Er sei froh, wieder draußen zu sein, sagt er, und er habe sich doch gut gehalten. Kein Wort von Schuld oder Reue. 

Im Jahr 1969 erscheinen seine »Erinnerungen« in Buchform, sofort ein Bestseller, von dem bis heute drei Millionen Exemplare verkauft wurden. Viele seiner Behauptungen im Buch über seine Verstrickung bzw. Nichtverstrickung in das mörderische System der Nazis haben sich später als haltlos und gelogen erwiesen. Aber das wusste der junge Drehbuchautor Andrew Birkin nicht, als er sich 1972 ein Jahr lang mit dem ehemaligen Rüstungsminister traf, um an einem Drehbuch zu einem Biopic über Speer und die Nazizeit im Auftrag von Paramount zu arbeiten. 44 Stunden Tonaufnahmen sind von diesen Gesprächen erhalten, und sie sind die Basis des faszinierenden Dokumentarfilms von Vanessa Lapa, auch wenn Birkin und Speer quasi synchronisiert wurden und auch nicht alle der Birkin in den Mund gelegten Fragen von ihm damals selbst gestellt wurden. 

Speer in den frühen 70ern: Das ist ein saturierter älterer Herr mit einem schönen Anwesen außerhalb von Heidelberg, der fließend, wenn auch mit Akzent, Französisch und Englisch spricht und sich gravitätisch auf der Chaiselongue ausbreitet. Er leugnet beileibe nicht den Holocaust, Speer war ein Meister der Anpassung, wohl aber seine detaillierte Mitwisserschaft, Malraux zitierend: Ein Fisch sehe niemals das Äußere des Aquariums. Diese Selbststilisierung unterlaufen Birkin – und der Film –, indem sie zeigen, dass Speer bei der berüchtigten Himmler-Rede zur Auslöschung der Juden in Poznan 1943 zugegen war und Speer selbst das KZ Mauthausen besucht hat. Und dass Speer durchaus ein Antisemit war (obwohl er das im Gespräch abstreitet), lässt sich an seinen Auslassungen über die jüdische Elite Berlins ablesen.

Speers Rüstungsproduktion ließ sich nur durch ein System der Zwangsarbeit mit Kriegsgefangenen und KZ-Insassen erreichen, darauf macht der Film von Lapa durch Aufnahmen aus dem Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse aufmerksam. Die Gespräche werfen aber auch ein interessantes Licht auf die Frage, wie man die NS-Täter darstellt. Der Regisseur Carol Reed, Birkins Mentor, sieht bei einem Telefongespräch in dem Filmprojekt einen Fall von whitewashing, weil nur einige der 200 Seiten explizit auf Speers Verwicklung in Sachen Vernichtung durch Arbeit eingehen. Aus dem Filmprojekt »Inside the Third Reich« ist nichts geworden, der Fall Speer bleibt aber ein Paradigma für die Verdrängungsbemühungen einer ganzen Generation.

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