Kritik zu Shirley - Visionen der Realität

© Rendezvous

2013
Original-Titel: 
Shirley: Visions of Reality
Filmstart in Deutschland: 
18.09.2014
L: 
93 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Wahrscheinlich hatte kein anderer Maler des 20. Jahrhunderts einen so großen Einfluss auf den Film wie Edward Hopper. Gustav Deutsch hat seine Gemälde zum Ausgangspunkt für ein faszinierendes filmisches Experiment gemacht

Bewertung: 4
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 1)

Schon auf den ersten Blick wirken manche Bilder von Hopper wie film stills, wie Aushangfotos: dramatisierte Räume mit eingefrorenen Personen. Hopper reduziert die Elemente eines Bildes aufs Wesentliche. Zitate seiner Bilder sind Legion, allein sein vielleicht berühmtestes Bild, »Nighthawks«, dürfte in locker 20 Filmen vorkommen, sein »House by the Railroad« hat Terrence Mallick, George Stevens oder Alfred Hitchcock inspiriert.

Die Bilder von Hopper sind merkwürdig »leer«. Die Menschen sind in sich gekehrt, bewegungslos, ohne eine Äußerung von Emotionen. Es ist diese Vieldeutigkeit, die existenzielle Empfindungen beim Betrachter hervorruft. Die Motive wirken, als steckten sie voller Geheimnisse und Geschichten, die danach schreien, erzählt zu werden.

Nun, der österreichische Filmemacher und Architekt Gustav Deutsch erzählt Shirleys Geschichte, in 13 »Episoden«, die Gemälden von Edward Hopper nachempfunden sind, ein faszinierendes Experiment. Es sind seine bekanntesten, wenn auch die richtig ikonischen nicht dabei sind. »Tableaux vivants« nannte man die Nachstellung von Malerei und Plastik, als sie Ende des 18. Jahrhunderts aufkam, ein vorkinematographisches Vergnügen – und mit dem Begriff »Lebende Bilder« haben die Zeitgenossen auch den frühen Film zu beschreiben versucht. Aber Deutsch, der einzelne Tableaux auch schon als Installation präsentierte, stellt nicht nur nach, er interpretiert, er führt fort. 

Zum ersten Mal sehen wir Shirley, wie sie in einem Zug einen Band Gedichte von Emily Dickinson liest: »Chair Car« aus dem Jahr 1965, eines der letzten Bilder, die Hopper malte. Und der Film blendet mit einer Unschärfe, wie in einem Film aus den dreißiger oder vierziger Jahren, zurück und erzählt mit ihrem inneren Monolog die Biografie einer Schauspielerin durch drei Jahrzehnte amerikanischer Geschichte. Sie setzt sich mit ihrem Mann auseinander, sie wird dem Group Theatre, einem der Vorläufer des ­Actors Studio, angehören und Elia ­Kazan und seine Kooperation mit dem House Committee on Un-American Activities verfluchen. Die kanadische Tänzerin und Choreographin Stephanie Cumming verkörpert diese Shirley mit langsamen, nie zu expressiven Gesten und Bewegungen. Die Kamera steht immer an einem fixen Punkt, aber sie zoomt, sie wählt aus und nur in wenigen Augenblicken setzt sich das Hopper-Bild zusammen. In dem Tableau »Western Motel« (1957) hält ihr Mann, ein Fotograf, es fest.

Die Zeit der Entstehung der Bilder deckt sich mit der Zeit der Handlung der Episoden. Sie spielen immer am 28./29. August – dem Tag des »March on Washington« im Jahr 1963, als Martin Luther King seine »I have a dream«-Rede hielt. Shirley hört die Übertragung in »Sun in an empty room«. Mit solchen »Richtigstellungen« (Hopper war politisch rechtslastig) bekommt Deutschs Film eine Erdung, die sehr gut mit dem Artifiziellen in seinen (und Hoppers) kühlen Bildern kor­respondiert. 

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Uns ist noch keine DVD-Fassung bekannt. Hier der Verleih (am besten dort anfragen): http://www.rendezvous-filmverleih.de/shirley_disposition.htm

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