Kritik zu Selbstgespräche
In seinem Debütfilm widmet sich André Erkau einem ungeliebten Berufsstand – den Menschen im Callcenter. Die Kommunikation am Telefon ist ihre Profession, mit dem Kommunizieren in der realen Welt aber hat jeder so seine Schwierigkeiten
Zu den schlimmsten Dingen in unserer Konsumwelt gehört bekanntlich der Anruf eines Callcenters. Kaum ein Tag, an dem man nicht gequält wird mit Angeboten für Zeitschriften, Kabelanschlüsse oder DSL-Pakete. Gäbe es eine Top-Ten-Liste der unbeliebtesten Tätigkeiten, dürfte der Callcenter-Mitarbeiter noch weit vor dem, sagen wir einmal, Finanzvollzugsbeamten liegen. Sie produzieren ja nichts – sondern helfen nur mit, den Profit ihres Auftraggebers zu vergrößern.
Keine schlechte Idee, einmal einen Film mit Figuren aus diesem gemeinhin als unseriös angesehenen Berufsfeld zu bevölkern. Das schafft eine Grunddistanz und entfacht Neugier – hat sich nicht jeder schon Mal gefragt, wie geht es zu in einem solchen Callcenter? Rutschen die auf den Knien wie weiland Boris Becker, wenn sie unsereinem einen Vertrag angedreht haben? Kotzen sich die Menschen mit den Headsets ordentlich aus, wenn auch der zehnte Angerufene erbost auflegt?
Nun, aufregend ist der Alltag in einem solchen Center nicht gerade, wie André Erkau in seinem Spielfilmdebüt nahelegt, und kommunikativ wirken die Gespräche ohne sichtbares Gegenüber dort auch nicht. Weshalb sein Film ja nicht ohne Grund Selbstgespräche heißt. Geschickt nimmt Erkau das Callcenter als Mikrokosmos und dramaturgische Anlaufstation, ohne die Biografien, wie das eine Zeit so üblich war, bis zum Exzess zu verweben.
Für Sascha ist dieser Job nur eine Durchgangsstation, er träumt von einer Karriere im TV-Show-Gewerbe – aber weiter als bis zum Anheizer hat er es noch nicht gebracht. Auch Maria, die gelernte Architektin und alleinerziehende Mutter, bewirbt sich, Telefonanschluss hat sie ja, laufend um einen besseren Job. Für Adrian scheint das Telefonverkaufsgeschäft die richtige Branche zu sein: Er ist die Verkaufskanone des Centers. Allerdings kann seine soziale Kompetenz in der Wirklichkeit nicht mit der am Telefon mithalten. Der Einzige, der sich mit seinem Job identifiziert, ist Harms, der Büroleiter. Und der steht unter Druck: Seine Abteilung muss mehr Umsatz machen, sonst wird sie in einem Monat geschlossen. Wofür seine Mitarbeiter eine Anzeigentafel an die Wand gehängt bekommen, die die genauesten Zahlen parat hat.
Das Aneinandervorbeireden und Ignorieren ist das Erzählprinzip dieses Films, der bei aller Lakonie und Witz mehr und mehr auch die Tragik seiner Figuren enthüllt. Saschas Freundin etwa ist schwanger – aber irgendwie will er das nicht so recht wahrhaben, Adrian bemuttert seinen Vater, und Harms entpuppt sich als egozentrischer Schwadroneur. Er wird gespielt von einem erstaunlich guten August Zirner, der zwischen den Aggregatzuständen somnambul und hyperaktiv schwankt. Wie überhaupt das Darstellerensemble ein großes Plus dieses Films ist. Einmal tritt sogar Günter Wallraff mit Perücke auf; bei einer Feier macht er sich ein paar Notizen und verschwindet sofort. Aber da wissen wir schon längst und ohne ihn, dass auch im Callcenter jeder seine Chance haben wird. Denn das chinesische Schriftzeichen für Krise, sagt Harms, ist zusammengesetzt aus den Zeichen für Gefahr und Chance.
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