Kritik zu Sechs Tage unter Strom – Unterwegs in Barcelona
Neus Ballús folgt drei sich selbst spielenden Handwerkern durch die katalanische Hauptstadt und zeichnet ein humorvolles Bild der Arbeitswelt
»Können sie vielleicht ihr T-Shirt ausziehen?«, fragt die blonde Fotografin, deren Steckdose das Team um Valero, Pep und Moha gerade repariert. Sie ist professionell fasziniert von dem Körper des jungen Marokkaners und inszeniert ihn spontan als fesches Objekt mit Bohrmaschine. Als Valero erkennt, warum Moha, der doch nur ein paar Schrauben zu lösen hatte, sich die Bohrmaschine geholt hat, ist er wenig amüsiert. Zum einen fühlt er sich von Pep verlassen, der seinen baldigen Ruhestand angekündigt hat, zum anderen von der Chefin bei der Wahl des Nachfolgers übergangen. Er traut dem gut aussehenden Fremden nicht, zweifelt an seinen Fähigkeiten als Installateur und macht daraus auch keinen Hehl. Moha hingegen, der uns als Einziger an seiner Sicht der Dinge teilhaben lässt und aus dem Off erklärt, wie er die Welt sieht, will endlich aus der Zwangs-WG mit zwei Landsleuten ausziehen und braucht nichts dringender als einen Job. Sechs Tage begleitet Regisseurin Neus Ballús, deren Vater selbst Installateur ist, die drei bei ihrer Arbeit, wie die Geschichte ausgeht, bleibt vielsagend offen.
Es passiert nicht viel in diesem Film. Die drei fahren zu unterschiedlichen Kunden, machen ihre Arbeit und kehren am Abend relativ ermattet zurück. Die Arbeit ist weder besonders hart noch banal, es gilt, Probleme zu erkennen, Lösungen zu finden und den Schaden zu beheben. Dabei ist der jeweilige Auftraggeber immer anwesend und hat seine eigenen Vorstellungen von der zu lösenden Aufgabe. »Sechs Tage unter Strom« könnte auch ein Dokumentarfilm sein, denn die Art, wie Neus Ballús ihre Geschichte inszeniert, ist von einer absichtsvollen Offenheit geprägt. Mohamed Mellali, Valero Escolar, Pep Sarrà haben nicht nur ihre Namen behalten, sondern spielen in vielem sich selbst. So wirkt die gesamte Szenerie echt und authentisch, weder die latente Fremdenfeindlichkeit noch der Stolz auf die eigene Arbeitsleistung sind übertrieben. Und in den Begegnungen mit den Kunden öffnen sich Fenster in ganz unterschiedliche gesellschaftliche Ebenen.
Bereits in ihrem Film »La Plaga«, der 2013 bei der Berlinale lief, zeigte sie fünf Menschen, die in der Peripherie Barcelonas arbeiten und deren Wege sich tagtäglich kreuzen, während das Land von einer Insektenplage heimgesucht wird. Auch hier beobachtete sie die Alltagsroutinen ihrer Laiendarsteller detailgenau und setzt damit ihr eindrückliches Hybrid zwischen Dokument und Fiktion fort. Wir erfahren dabei viel über Barcelona, das beispielhaft für ein zerrissenes Spanien steht und letztlich auch für ein Europa, das sich dem Fremden gegenüber zunehmend abschottet. Doch dies ist als Intention weder erkennbar inszeniert noch aufdringlich moralisch dargestellt, sondern als hintergründige Haltung Teil der immer wieder hochkomischen Handlung. Und es ist interessant, dass – sowohl was die Formen angeht, die Mischung aus Improvisation, Dokumentation und Drehbuch, als auch in der thematischen Ausrichtung, das zu zeigen, was das Kino lange vernachlässigte, die Arbeitswelt – Europa filmisch zusammenwächst.
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