Kritik zu Portraits deutscher Alkoholiker
Ein Dokumentarfilm über die Unsichtbarkeit der Alkoholsucht
Unter einem Porträt versteht man das Abbild eines Menschen. Auch bei einem filmischen Porträt erwartet der Zuschauer, dass der Porträtierte zumindest indirekt auftritt, etwa in Form einer eingeblendeten Fotografie, oder andere erzählen über ihn. Diese Erwartung unterläuft Carolin Schmitz radikal. In ihrem Dokumentarfilm berichten sechs anonyme Alkoholiker, deren Namen auch im Abspann unkenntlich bleiben, aus dem Off über ihr Leben als gescheitertes Trinksystem.
Was dem Kritiker normalerweise wie »Radio mit Bildern« erscheint, erweist sich hier als gelungener Kunstgriff. Das Problem der drei Frauen und drei Männer ist nämlich das gleiche. Sie versuchen, ihre Sucht unsichtbar zu machen. Dieses Verhalten imitiert Schmitz mit ihrem Film. Im entspannten Rhythmus ziehen Bilder von Wohnungen und Arbeitsplätzen vorbei. Wir sehen Szenarien aus einem Krankenhaus, einem Flughafen und einem Gerichtssaal. Im Getriebe des Alltags greifen die Zahnräder reibungslos ineinander. Nichts deutet auf eine Störung hin. Allein die haarsträubenden Erzählungen der Alkoholkranken berichten von jenem Drahtseilakt zwischen Absturz in den Suff und der Aufrechterhaltung des Anscheines von Normalität. Eine junge Mutter orderte direkt nach der Geburt ihres Kindes eine Flasche Sekt. Danach trank sie siebzehneinhalb Jahre unbemerkt. Mit akribisch dosiertem Pegel schafft ein Jurastudent seine Staatsexamen und führt später angetrunken Verhandlungen.
In einem »Paralleluniversum«, so der Titel eines früheren Films von Carolin Schmitz, wird deutsche Wertarbeit durch ebensolches Trinkverhalten karikiert. Die Vorgärten der Neubausiedlung sind perfekt abgezirkelt, die Wohn- und Schlafzimmer akkurat aufgeräumt und so sauber, dass man vom Boden essen könnte. In dieser spießigen Ordnung spielt der Alkoholkranke ein labyrinthisches Versteckspiel. Jeder Gang in den Keller dient dem heimlichen Schluck. Wenn der Ehemann abends endlich sein verdientes Bierchen öffnet, dann nippt die Gattin neben ihm artig am Clausthaler – das sie vorher geschickt präpariert hat. Und wenn der Hobbybastler den Schnaps im Tunnel der Modelleisenbahn bunkert, dann werden die tragischen Geschichten auf skurrile Weise komisch.
Zwischen diesen »nüchternen « Berichten und den monotonen Bildern, die gelegentlich an einen Beitrag der »Tagesschau « erinnern, entsteht zuweilen eine unglaubliche Spannung. Die Erzählung eines Trinkers, der seine Sucht durch die Kultivierung von Weingenuss kaschierte, wird mit gediegenen Aufnahmen eines Weinbaugebietes kommentiert. Diese kontrapunktische Montage trägt leider nicht den ganzen Film. Gelegentlich erscheinen die Bilder unspezifisch, und der Zusammenhang erschließt sich nicht. In diesen Passagen wirkt der Film verkopft und konstruiert. Der Grundeindruck wird dadurch aber nur unwesentlich getrübt. Schmitz gelingen Trinkerporträts, wie man sie so noch nicht »gesehen « hat.
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