Kritik zu Plastic Fantastic
Isa Willingers Dokumentarfilm zum Thema Plastik skizziert Krise und Chance der Kunststoffproduktion
Joshua Baca vom Wirtschaftsverband der US-Chemieindustrie beschwört im ausführlichen Interview für den Film die Bedeutung seines Gewerbes für zivilisatorische Segnungen wie Nachhaltigkeit und Kampf gegen den Welthunger. Sein deutscher Counterpart Ingemar Bühler spricht gar von der »Diskriminierung« der Kunststoffe. In diesem Sinn soll die Organisation PlasticsEurope mit dem Experimentierkoffer »Kunos coole Kunststoff-Kiste« in Kooperation mit den Kultusministerien der Länder schon an den Schulen lehren, wie »vielfältig dieses Material ist«.
Bezüglich der verheerenden Umweltverseuchung durch Plastik richten beide den Blick demonstrativ in die Zukunft: »Es wird schwierig, aber wir sind auf dem richtigen Weg.« Doch das von Industrie und Politik gern als Lösung propagierte Recycling erreicht nur minimale Teile der Produktion, auch weil aus ökonomischen Gründen meist nicht sortenreine Kunststoffe eingesetzt werden, wie der Chemiker Michael Baumgart erläutert. Und die Produktion wächst immer noch ständig.
Den beiden Lobbyisten gegenüber steht im Film der Dokumentarfilmregisseurin Isa Willinger (Max-Ophüls-Preis 2020 für »Hi AI, Liebesgeschichten aus der Zukunft«) eine ganze Reihe an WissenschaftlerInnen, AktivistInnen und anderen kenntnisreichen kritischen Geistern. Da ist die charismatische Sharon Lavigne, die in Louisiana gegen eine riesige Neuansiedlung des Chemiekonzerns Formosa in ihrer Nachbarschaft kämpft und gegen die Sümpfe der lokalen Politik einen Vertreter der nationalen Umweltschutzbehörde EPA einschaltet. Da ist Professorin Sarah-Jeanne Royer, die am Strand in Hawaii Anschwemmungen aus dem nordpazifischen Müllstrudel dokumentiert und sammelt. Der Umweltanwalt Steven Feit erläutert die ökonomischen Hintergründe der Kunststoffproduktion. Und der kenianische Fotojournalist und Umweltaktivist James Wakibia stieß mit einer Kampagne das Verbot von Plastiktüten in seinem Land an.
40 Prozent des produzierten Plastiks sind Einwegartikel, sagt Royer, in Hawaii sind das vor allem Zigarettenfilter, Flaschenverschlüsse und Feuerzeuge, aber auch Reifenabrieb ist wichtig. Jede dritte Verpackung landet am Ende im Ozean und von dort viel zu oft in der tierischen Nahrungskette – und so für immer in der Welt. Dass die Teilchen dabei immer kleiner werden, ist kein Vorteil, weil sie am Ende als Nanopartikel durch die Luft oder beim Verzehr tief auch in den menschlichen Körper eindringen.
Nicht alles von den ProtagonistInnen Erläuterte ist neu, es ist aber auf dem aktuellen Stand und wird in der oft kontrapunktischen Montage prägnant auf den Punkt gebracht. Kommentiert wird durch gezielten Musikeinsatz. Und am Ende gibt es auch hier etwas Hoffnung: etwa durch die Arbeit von Anne Lamp und KollegInnen, die in ihrem Start-up Traceless nach aufwendigen Forschungen erfolgreich daran arbeiten, aus Restprodukten der Getreideverarbeitung Kunststoffalternativen zu bauen. Und dann gibt es eine fantastisch klingende Idee: Könnte man vielleicht auch Kohlendioxid in Kunststoff verwandeln?
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