Kritik zu Oh Boy

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Berlin als Terrarium eines Erwachsenwerdens – das ist kein ganz neues Sujet. Jan Ole Gerster aber findet mit Tom Schilling, Justus von Dohnányi, Michael Gwisdek und Katharina Schüttler eine neue Form

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Morgens erst mal aus der Wohnung der jungen Dame schleichen, bei der man die Nacht verbracht hat. Doch schon das klappt nicht so recht, sie schlägt die Augen auf und bietet einen Kaffee an, und er wehrt mit reichlich fadenscheinigen Ausflüchten ab. Ist auch kein One-Night-Stand, sondern die Gerade- noch-Freundin, die jetzt verständlicherweise verletzt ist. Niko (Tom Schilling) ist an einem Punkt in seinem Leben, an dem er gar nicht mehr weiß, was er will, sein Jurastudium hat er vor zwei Jahren geschmissen, ohne einen alternativen Plan zu entwickeln, seitdem lässt er sich treiben und ist dabei sicher nicht glücklicher geworden. Doch an diesem früh beginnenden Tag und der langen Nacht, die darauf folgt, wird er zwangsweise aus seinem antriebsschwachen und ziellosen Drifterdasein herausgerissen.

Jan Ole Gerster zeigt in seinem Spielfilmdebüt eine angenehme Mischung aus ironiegesättigter Situationskomik und bittersüßer Melancholie, mit schwarz-weißen Bildern, in denen Berlin endlich mal so existentialistisch aussieht, wie es sich anfühlen kann, mit einem jazzigen Soundtrack, der das Lebensgefühl in wohldosierte Tristesse fasst und ihm zugleich ein paar raue Kanten versetzt. Tom Schilling, der in Filmen wie Verschwende Deine Jugend oder Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe diese mehr oder weniger orientierungslosen, ewig jugendlichen Männer schon ein bisschen zu oft gespielt hat, verleiht dieser unfreiwilligen Lebenssinnsuche eine Dringlichkeit, die in solchen Geschichten im deutschen Kino oft fehlt.

Niko ist das, was man bei Richard Linklater und Kevin Smith "Slacker" nannte, die Sorte Jugendlicher mit überschrittenem Verfallsdatum, die das Kino seit 20 Jahren prägt. Ringsherum wird er von einem illustren Ensemble von Wegbegleitern und Wegkreuzenden aufgefangen, die eine Episode dieser langen Nacht fließend in die nächste überführen: Justus von Dohnányi als bedürftiger Nachbar, der mit einer Schüssel unappetitlicher Buletten verzweifelt Anschluss sucht, Marc Hosemann als Möchtegernschauspieler, der Motor dieser Nacht ist und Niko an den Drehort eines Nazifilms schleppt, Ulrich Noethen als überheblich stinkreicher Vater, der seinem Sohn auf dem Golfplatz den Geldhahn zudreht, Friederike Kempter, die als einst gehänselte Schulkameradin ihr noch immer labiles Selbstbewusstsein aufmüpfig verteidigt, Frederick Lau mit alkoholgeschwängerten White-Trash-Aggressionen und schließlich Michael Gwisdek, der am frühen Morgen am Bartresen eine berührende Lebensbeichte ablegt.

Womöglich hat Gerster, der zuvor nur in Der Schmerz geht, der Film bleibt, die schwierige Entstehungsgeschichte von Wolfgang Beckers Good Bye Lenin! dokumentiert und das Drehbuch zu dessen Episode in der Kompilation Deutschland 09 geschrieben hat, das eigene Lebensgefühl eines langsamen Starts verarbeitet. Vielleicht hat er auch das derzeit virulente Lebensgefühl einer Generation aufgenommen, die mit dreißig oft noch keinen gültigen Lebensplan destilliert hat. Jedenfalls ist sein Film ein poetischer Großstadtalptraum, der noch lange nachklingt.

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