Kritik zu Motherland
In ihrem Dokumentarfilm geben Alexander Mihalkovich und seine Co-Regisseurin Hanna Badziaka bedrückende Einblicke in die weißrussische Gesellschaft, die sich im Würgegriff eines pervertierten militärischen Systems befindet
Gemeinhin heißt es, die Armee diene der Verteidigung des Vaterlandes. Doch der ukrainisch-weißrussische Filmemacher Alexander Mihalkovich und seine Co-Regisseurin, die Weißrussin Hanna Badziaka, nennen ihren Dokumentarfilm über das Militär »Motherland«. Damit setzen sie den entscheidenden Akzent. Es geht um die Mütter. Sie müssen ausbaden, was mit der Armee ihres Landes schiefläuft.
Hauptprotagonistin ist Svetlana, eine Frau mittleren Alters. Ihr Sohn kam während des Wehrdienstes ums Leben. Offiziell verübte er Selbstmord durch Erhängen. So steht es in den Unterlagen, die man ihr zuschickte. Doch die zahlreichen Hämatome am Leichnam lassen nur einen Schluss zu: Svetlanas Sohn wurde misshandelt. Als »Dedowschtschina« (grobschlächtig übersetzt in etwa »Herrschaft der Großväter«) bezeichnet man das in Streitkräften postsowjetischer Staaten bis heute übliche Schikanieren junger Rekruten durch Dienstältere.
Im Gegensatz zu unappetitlichen Initiationsriten, die auch bei der Bundeswehr in die Schlagzeilen gerieten, handelt es sich bei Dedowschtschina nicht selten um systematische Folterungen. Und nicht selten gipfeln sie in Totschlag. Das Phänomen geht auf das sowjetische Straflagersystem zurück. Es ist ein Symptom für jene dysfunktionale Gesellschaft, auf die Mihalkovich und Badziaka aufschlussreiche Streiflichter werfen.
Mit der volksfestartigen Vereidigung von Rekruten beginnt ihr Film. Der Blick verengt sich daraufhin auf den jungen Nikita, der gerade seinen Einberufungsbescheid erhielt. Die »scharfkantige militärische Ordnung«, so sein Großvater mit militärischer Lyrik, würde die »widerspenstigen Windungen und Biegungen, die der Geist erschafft«, begradigen. Unterdessen macht er dem Enkel vor, wie man Steaks auf dem Hackklotz platt klopft. Das Bild deutet an, was dem Jungen wohl bevorsteht.
Tumultartige Szenen zeigen unterdessen, wie junge Menschen 2020 auf den Straßen von Minsk gegen die Scheinwahlen demonstrieren, mit denen der autoritäre Staatschef Lukaschenko im Amt bestätigt wurde. Aktivisten werden vom Militär niedergeknüppelt. Nach seiner Einberufung teilt Nikita den Freunden mit, dass auch er wohl an solchen Einsätzen gegen die eigene Bevölkerung teilnehmen müsse. »Wenn ich nicht gehorche, ist es einfach, mich zu liquidieren.« Die erzählerische Klammer bilden Briefe, die der Regisseur Mihalkovich selbst während seiner Militärzeit an seine Mutter schrieb. Am Ende ist er Feldwebel geworden: Die einzige Möglichkeit, der Gewalt zu entgehen, ist die Gewaltausübung.
»Motherland« ist eine bedrückende Bestandsaufnahme von melancholischer Schwere. Die Brutalität selbst ist kaum zu sehen. Winterliche Bilder von Plattenbauten, Friedhöfen und Fabrikruinen zeigen indessen ein Land in eisiger Erstarrung. Hoffnung keimt nur im Privaten. Während Svetlana umherreist, um die Eltern anderer Opfer zu einer Sammelklage zu überreden, zeigt der Film ihr bescheidenes Häuschen. Zu sehen sind ihre Ziege und ihre Katze – die einzigen zärtlichen Momente in diesem Mutterland.
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