Kritik zu Mit Liebe und Entschlossenheit
Das Glück eines altgedienten Paares steht unversehens infrage, als die Jugendliebe der Frau (und zugleich der undurchsichtige, ehemalige Geschäftspartner des Mannes) brüsk wieder in ihr Leben tritt. Der archetypischen Dreieckskonstellation entlockt Claire Denis eine unerwartete Originalität, die 2022 mit dem Silbernen Bären für die Beste Regie belohnt wurde
Um ihre Dachgeschosswohnung werden Sara und Jean gewiss viele beneiden. Von der Balkonterrasse hat man einen einmalig romantischen Blick über die Dächer von Paris. Hier kann man entspannt den Morgenkaffee nehmen und rauchen; dank der gläsernen Schiebetür ist man beim Telefonieren ungestört. Aber Terrasse und Tür haben ihre Tücken in Claire Denis' Film.
Zunächst bilden Terrasse und Wohnung eine harmonische Einheit als zwei Privatsphären, die geteilt werden. Aber zusehends verwandelt sich der luftige Freiraum in ein Terrain des Argwohns und die liebevolle Schaulust in wechselseitige Überwachung. Der Blick von der Balustrade eröffnet Abgründe und die Tür schiebt sich als eine Schwelle der Entfremdung zwischen die zwei. Allmählich entsteht eine Distanz, die irgendwann unüberwindlich scheint.
Die Urlaubsidylle am Meer, mit der die Regisseurin das Paar (Juliette Binoche und Vincent Lindon) eingangs vorstellt, mag kitschig anmuten. Aber Denis misstraut dieser Glücksbeschwörung vorerst noch nicht, sondern entdeckt eine ausgelassene, wache Zärtlichkeit. Sie ist belastbar, setzt sich nach der Rückkehr in Paris nahtlos fort. Nach langen Jahren des Zusammenlebens ist die Erotik zwischen ihnen alles andere als reizarm. Daran mag auch die Gegensätzlichkeit ihrer Lebenswege und Temperamente liegen. Sara ist Radiomoderatorin, die gewandt auf Gesprächspartner aus unterschiedlichen sozialen Milieus eingehen kann. Jean, das erfährt man häppchenweise, war einmal Rugbyspieler, gab seine Karriere wegen einer Verletzung auf. Seine erste Ehe ist gescheitert, das Sorgerecht für seinen Sohn hat Jeans Mutter, seit er im Gefängnis saß für ein Verbrechen, das der Film nicht weiter benennt.
Eines Tages sieht Sara auf dem Weg zur Arbeit ihre Jugendliebe François (Grégoire Colin) wieder. Die Erinnerung an die unglückliche, leidenschaftliche Beziehung scheint sie augenblicklich zu überwältigen, aber sie berichtet Jean davon, der mit François befreundet war. Nun drängt er in ihr Leben zurück, will mit dem verlorenen Freund eine Agentur für Sportler gründen und die alte Liebe wieder aufleben lassen. Er reißt einen Zwiespalt auf, der davor nicht zu existieren schien. Das Drehbuch, an dem Denis zum zweiten Mal zusammen mit der Schriftstellerin Christine Angot gearbeitet hat (es basiert mehr oder weniger auf deren Roman »Un tournant de la vie«), verleiht der klassischen Dreieckskonstellation eine beträchtliche Originalität. Denn der erzählerische Fokus verharrt lange Zeit auf dem Paar, das mit der Anfechtung umzugehen versucht.
Das Ringen um die Bewahrung des Vertrauten, Gewohnten ist auch ein Arbeitsprinzip von Claire Denis. Die Filmmusik stammt unweigerlich von den Tindersticks (diesmal mit unerwarteten Gitarrenklängen); es ist ihr jeweils dritter Film mit Binoche und Lindon und der erste, in dem ihr Stammschauspieler Grégoire Colin etwas mehr als eine dumpfe Präsenz sein darf. Eine folgenreiche Änderung besteht indes darin, dass Agnès Godard nicht mehr hinter der Kamera steht. An ihre Stelle tritt Éric Gautier, der Kameramann von Assayas, Chéreau und Arnaud Desplechin. Ob er seine Kollegin endgültig ersetzt, lässt sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen – allerdings hat er ebenfalls »Stars at noon«, den zweiten Denis-Film des letzten Jahres, fotografiert. In »Mit Liebe und Entschlossenheit« kündigt sich eine ästhetische Neuorientierung an. Godards Kamera umfing Denis' Figuren bisher mit einer schwebenden, schwelgerischen Sinnlichkeit, die den Sprung vom Betrachten zum Berühren zu wagen schien. Auch Gautiers Kameraführung vermählt Anmut mit einer haptischen Analyse der Beziehungen. Aber sie ist konfrontativer, sie reizt die Möglichkeiten des CinemaScope-Formats umsichtig aus, um agiler in die Konflikte hineinzugehen. Während die Montage noch impressionistisch auf den Regelmäßigkeiten des Zusammenlebens (Saras Arbeitsweg, Jeans Pendeln zwischen Paris und dem Haus der Mutter in Vitry, der Parkplatz eines Supermarkts) beharrt, brechen die Streitigkeiten immer heftiger hervor. Wird Jean die Tür zur Terrasse endgültig schließen?
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