Kritik zu Min Dît – Die Kinder von Diyarbakir
DFFB-Absolvent Miraz Bezar widmet sich in seinem Debütfilm dem heiklen Thema der Auseinandersetzung mit der Ermordung kurdischer und anderer Dissidenten durch staatlich unterstützte paramilitärische Kommandos in der Türkei
Als »Min Dît« auf dem Golden Orange Film Festival in Antalya programmiert wurde, stellte das in zweifacher Hinsicht ein besonderes Ereignis dar. Der Film war nicht nur der erste Film in kurdischer Sprache überhaupt, der auf dem türkischen Festival zu sehen war. Sondern er berührt mit seinem Sujet auch einen der heikelsten Punkte jüngster türkischer Geschichte. 18.000 Männer und Frauen sollen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen in den 80er und 90er Jahren durch Paramilitärs ermordet worden sein: Menschen wie die Filmfiguren Vedat und Sevda, die auf der Rückfahrt von einer Hochzeit auf der Landstraße angehalten und erschossen werden. Zeugen des Verbrechens sind ihre Kinder auf der Rückbank: die zehnjährige Gülistan mit ihrem kleinen Bruder Firat, die fortan lernen müssen, sich allein durchzuschlagen – wie Tausend andere Straßenkinder der Stadt, die an Passanten Feuerzeuge und Taschentücher verkaufen. Eines Tages sieht Gülistan einen der Mörder auf der Straße wieder...
Wahrscheinlich sei es kein Zufall, dass ein eher Außenstehender erstmals so eine Geschichte auf die Leinwand bringe, sagt DFFB-Absolvent Miraz Bezar, in Ankara geborener und in Deutschland aufgewachsener Sohn kurdischer Migranten, der für sein erstes Langfilmprojekt 2005 extra nach Diyarbakir umgesiedelt ist. Eine konkrete Geschichte hatte er da noch nicht im Kopf, er ließ sich lieber von der Wirklichkeit der bürgerkriegsbrutalisierten Stadt selber inspirieren. Der Film wurde auch komplett vor Ort und mit lokalen Darstellern gedreht, die selbstausbeuterisch niedrigen 80.000 Euro Budget hatte der Regisseur privat aufgetrieben.
»Min Dît« heißt auf kurdisch »Ich habe gesehen«: ein Titel, der auch auf den Umstand anspielt, dass in der kurdischen 1,5-Millionen-Metropole die von vielen erlebte Bürgerkriegsvergangenheit mit ihren Schuld- und Opfertraumata im öffentlichen Diskurs nicht vorkommt. Das Gesehene wird verdrängt und ausgeblendet, wie bei vielen anderen Bürgerkriegsschauplätzen, wo Täter und Opfer nach dem Ende der Auseinandersetzungen wieder auf engem Raum zusammenleben.
Dabei geht es Bezar sowohl um Anregung zur konkreten historischen Aufklärung wie auch darum, generell zu zeigen, was Krieg und Unterdrückung den Menschen an langfristigen Folgeschäden aufbürden. So siedelt er seine elliptisch erzählte und punktuell metaphorisch überhöhte Erzählung bewusst in einem zeitlich nicht klar definierten Raum an. Nicht nur visuell dominiert die Kinderperspektive, so dass Erwachsene oft nur bis zum Oberschenkel im Bild zu sehen sind. Bei aller thematisch gebotenen Härte endet der Film statt im Rache- in einen Guerilla-Akt subversiver Gegenaufklärung, die sich aus traditioneller Bauernweisheit speist. Richtig Hoffnung macht das aber nicht.
In Antalya erhielt »Min Dît« den Spezialpreis der Jury. Presseberichten zufolge überwog nach der Vorführung der Applaus die nationalistischen Missfallensbekundungen. Wer weiß, vielleicht ist Bezars notwendiger Film ja wirklich ein erster Schritt, um (Zitat Presseheft) »ein wenig Licht in diese finstere Episode zu bringen«.
Kommentare
Wichtig
Toll! Freue mich den Film zu sehen. Solche Filme sind wichtig um diese Thematik vor allem den hier lebenden näher zu bringen.
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