Kritik zu Mein Stück vom Kuchen

© Kinowelt

2011
Original-Titel: 
Ma Part Du Gateau
Filmstart in Deutschland: 
15.09.2011
L: 
109 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Die Arbeiterin und der Börsenspekulant: Auf den ersten Blick könnte man Cédric Klapischs neue Komödie für den Schlüsselfilm zur Finanzkrise halten. Obwohl er sich emsig darum bemüht, ist er es nicht

Bewertung: 2
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Zu Beginn darf der Filmtitel noch ganz konkret gemeint sein: Während des Vorspannes wird auf einem Kindergeburtstag eine Torte angeschnitten. Die Vorfreude der Gäste ist groß, die Geburtstagstorte allerdings ein Luxus. Denn die alleinerziehende France (Karin Viard) muss haushalten mit ihrem Geld, seit sie ihre Stelle im Containerhafen von Dünkirchen verloren hat. Zwanzig Jahre lang hat der Job ihre Familie ernährt – mit dem Vater ist nicht zu rechnen –, nun weiß sie nicht mehr, wie es weitergehen soll.

Später ist im Film noch einmal von einem Kuchen die Rede. Der Börsenspekulant Steve (Gilles Lellouche), in dessen Pariser Luxusapartment France dank einiger Volten des Drehbuchs als Haushälterin arbeitet, erklärt ihr sein Metier. Wenn er sagt, er nähme sich doch nur das Stück, das ihm zustünde, klingt das wie eine Anmaßung. Steve hat kein Gespür dafür, dass an Geschäftsbilanzen stets auch individuelle Schicksale hängen.

Cédric Klapisch legt gleich zu Beginn seine Karten offen auf den Tisch. Er spielt die sozialen Gegensätze entschlossen gegeneinander aus, setzt Betroffenheit gegen Abstraktion, Verantwortung gegen Leichtfertigkeit und lässt keinen Zweifel aufkommen, für wen er Partei ergreift. Es ist staunenswert, mit welcher Inbrunst er den Klassenkampf auf seinen Klischeegehalt reduziert. Die Armen sind solidarisch, Kameradschaft und Familiensinn lassen sie in der Not noch enger zusammenrücken. Die Finanzwelt hingegen erscheint als eine Sphäre der Entfremdung, die überdies den Charakter verdirbt. Das ist kein Sport für Gentlemen, schärft sein Chef in London Steve ein. Welchen Zuschauer soll die Pointe noch überraschen, dass dessen Unternehmen Schuld hat an der Misere in Dünkirchen?

Glücklicherweise erzählt Klapisch diese Konfrontation nicht als Liebesgeschichte, sondern als Unvereinbarkeit der Standpunkte. Die Erotik gehorcht in ihren jeweiligen Lebenssphären einer anderen Ökonomie. Wenn er dennoch die Liebe ins Spiel bringt, trifft er den falschen Ton. Zwar sagt die erpresserische Galanterie, mit der Steve ein Fotomodell zu einer romantischen Eskapade nach Venedig einlädt, mehr über die Mechanismen der exception française als mancher Leitartikel zur Strauss-Kahn-Affäre. Wenn France jedoch später, nach einer gemeinsamen Liebesnacht, ein Telefongespräch belauscht, in dem sich Steve verächtlich dieser Eroberung brüstet, verliert Klapisch das Entscheidende aus den Augen: Nicht ihre romantischen Gefühle wurden verletzt, sondern ihre Würde.

Vieles im Drehbuch wirkt unausgegoren, ist nicht zu Ende gedacht. Früher, etwa in Typisch Familie!, hat Klapisch die gesellschaftlichen Gegensätze feinsinniger dramatisiert. Immerhin hält sein neuer Film die Widersprüche, in die er sich verstrickt, wacker aus. Er hat den Mut, seine patente Heldin das Falsche tun zu lassen. Anfangs will France aus ihrer untragbar gewordenen Verantwortung abdanken, indem sie einen Selbstmordversuch begeht. Am Ende lässt sie sich zu einer Handlung hinreißen, die ihre Situation katastrophal zuspitzt. Als Verliererin im Klassenkampf mag ihr Regisseur sie dennoch nicht sehen.

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