Kritik zu A Man of Integrity – Kampf um die Würde
Der in seiner Heimat wegen »unerlaubten Filmens« verurteilte Mohammad Rasoulof erzählt von einem Tabuthema im Iran: der allgegenwärtigen Korruption
Zwei Männer, die unaufgefordert das Haus betreten und es durchsuchen: Schon die erste Szene dieses Films vermittelt ein beklemmendes Gefühl der Bedrohung. Von ländlicher Idylle, die sich Reza und seine Frau Hadis erhofft haben mögen, als sie vor zwei Jahren mit ihrem Sohn aus der Großstadt Teheran in den Norden zogen, keine Spur. Mit der Rückzahlung des Kredits für die Fischfarm, die er hier errichtet hat, ist Reza in Verzug geraten, der Bankangestellte macht ihm einen Vorschlag: Für die Hälfte der Zinsen, die er der Bank schulde, könne er zwei Monate mit der Ratenzahlung aussetzen. Auch wenn sein Zusatz, das Geld sei nicht für ihn allein, seine Vorgesetzten bekämen einen Anteil, eine Schutzbehauptung sein mag, gewinnt der Zuschauer doch im Verlauf der Geschichte den Eindruck, dass Korruption eine Selbstverständlichkeit im Iran ist.
Doch Reza ist, wie der Titel des Films schon sagt, ein integrer Mann. Lieber verkauft er den zweiten Wagen der Familie, um damit den Kredit zurückzuzahlen. Aber es ist nicht nur dieser Kredit, der auf der Familie lastet. Eines Tages stellt Reza fest, dass die Wasserzufuhr für seine Fische abgedreht wurde. Als er sie eigenhändig wieder in Gang setzt, steht plötzlich ein bulliger Mann mit einem Eisenrohr in der Hand hinter ihm.
Nie erfährt der Zuschauer, was danach passierte, in der nächsten Szene sitzt Reza im Gefängnis. Er hätte bei der Auseinandersetzung dem anderen Mann, Abbas, den Arm gebrochen. Dafür gäbe es ein ärztliches Attest. Nun folgt eine hohe Schadensersatzforderung. Als dann auch noch eines Morgens alle Fische vergiftet sind, sollte Reza wissen, dass er die Auseinandersetzung verloren hat. Doch er bleibt stur. Wie seine Frau einmal sagt: Selbst wenn sie im Gefängnis säße, würde er nicht zum Mittel der Bestechung greifen.
Das iranische Kino hat immer wieder moralische Fragen verhandelt, »A Man of Integrity« scheint sich auf den ersten Blick davon zu unterscheiden, weil er Partei ergreift – gegen eine institutionell verankerte Korruption, die dem Einzelnen keinen Ausweg lässt. Es ist ein zorniger Film, der bei seinem Protagonisten wie beim Zuschauer Ohnmacht und Wut hervorruft. Eindimensional ist er dabei allerdings nicht. Das rigide Verhalten Rezas stellt er ebenso infrage wie den Versuch seiner Frau, die Tochter von Abbas zu instrumentalisieren. Schließlich sind da noch die für die iranische Zensur provokanten Szenen der magischen Grotte mit blauem Wasser, in die sich Reza mit selbst gebranntem Alkohol zurückzieht (vielleicht nur eine Fantasie), und jene, in der Hadis sich anschickt, ihrem Mann unter die Dusche zu folgen, während die Kamera die auf dem Herd überkochende Milch zeigt. Und was von den überraschenden Angeboten zu halten ist, die Reza am Ende bekommt, nach der Durchführung eines irrwitzigen Plans, der eher unrealistisch scheint, muss der Zuschauer selber entscheiden. Mohammad Rasoulof, 2017 für diesen Film in Cannes ausgezeichnet, jedenfalls darf den Iran seit Herbst jenes Jahres nicht verlassen.
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