Kritik zu Lincoln

© 20th Century Fox

Die Abschaffung der Sklaverei, geboren aus dem Geist eines Politthrillers: Steven Spielberg zeigt Lincoln als genialen Politiker und lässt nebenbei Daniel Day-Lewis sich für den Oscar empfehlen

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A braham Lincoln, der 16. Präsident der Vereinigten Staaten, gehört zu den beliebtesten Helden des amerikanischen Kinos. Mehr als 300 Werke listet »The International Movie Data Base«, in denen Lincoln als Filmfigur auftaucht. Nun hat sich Steven Spielberg der historischen Ikone angenommen. Der schlichte Titel Lincoln und die epische Filmlänge von 150 Minuten suggerieren einen monumentalen Zugang, aber Spielberg und sein Drehbuchautor Tony Kushner (München) haben alles andere als ein Heldenepos im Sinn. Der Film konzentriert sich auf die letzten vier Monate im Leben des Präsidenten, in denen dieser alles daran setzt, den 13. Zusatzartikel in der US-Verfassung zu verankern, der die Sklaverei in den Vereinigten Staaten endgültig abschaffen soll.

Im November 1864 fordert der Bürgerkrieg zwar weiterhin immense Opfer, aber es gilt als sicher, dass die Konföderierten ihn nicht mehr gewinnen können. Bevor ein Friedensabkommen geschlossen wird, will Lincoln (Daniel Day-Lewis) den 13. Zusatzartikel im Repräsentantenhaus durchsetzen, weil er befürchtet, dass im wiedervereinten Nachkriegsamerika die Mehrheitsverhältnisse dazu nicht ausreichen werden. Für die umstrittene Verfassungsänderung braucht er nicht nur die Unterstützung seiner republikanischen Partei, sondern auch noch einige Stimmen aus dem Oppositionslager. Zur Disposition steht mit dem Verbot der Sklaverei ein idealistisches Vorhaben von historischer Tragweite. Aber durch den Wettlauf mit dem herannahenden Frieden stellt sich auch eine Grundsatzfrage der politischen Moral: Darf um des hehren Anliegens willen das Ende des Krieges hinausgezögert und weiteres Blut vergossen werden? Außerdem liegen auf dem Weg zum Ziel die Mühen der parlamentarischen Ebene. Wer Mehrheiten will, kann nicht nur mit Argumenten kämpfen, sondern muss die Parteidiplomatie beherrschen und Kompromisse aushandeln. Darüber hinaus beauftragt Lincoln eine außerparlamentarische Spezialeinheit, die potenziell abtrünnige Parteigenossen besticht und unter Druck setzt. Vom edlen Idealismus bis zu den kleinen schmutzigen Tricks des politischen Geschäfts spannt Spielberg das Spektrum des demokratischen Entscheidungsprozesses, den er zu einem äußerst spannenden Politkrimi ausbaut. Darin eingebettet wird ein differenziertes Porträt Lincolns, der aus seiner Ikonografie herausgelöst und als schillernde und sehr menschliche Figur gezeichnet wird. Und da leistet der wunderbare Daniel Day-Lewis hervorragende Arbeit. In der Körpersprache zurückgenommen und jegliche Tour-de-Force- Allüren vermeidend, konzentriert er seine Ausdruckskraft auf das gesprochene Wort. Mit fein modulierter Intonation konturiert er die charakterlichen Facetten Lincolns, der auf sanfte Art bestimmt auftritt, einen endlosen Schatz an Anekdoten zum Besten gibt und nur einen einzigen kurzen Moment im Film mit der Hand auf den Tisch schlägt und seine Stimme erhebt.

Aber auch wenn Lewis sich hier auf der Liste der Oscaranwärter ganz nach oben spielt, ist Lincoln vor allem ein klug strukturiertes Ensemblestück, in dem sich exzellente Schauspieler wie David Strathairn, Sally Field, Bruce McGill, James Spader oder Jackie Earle Haley passgenau in die historischen Figuren einarbeiten. Herausragend wieder einmal Tommy Lee Jones, der den glühenden Abolitionisten und verbitterten Parlamentarier Thaddeus Stevens spielt, an dem die schmerzhaften Seiten von Parteidisziplin und politischem Pragmatismus exemplifiziert werden.

In den USA ist Lincoln fünf Tage nach der Präsidentschaftswahl in die Kinos gekommen, und natürlich sind die Echos der politischen Gegenwart in dem historischen Film evident. Wie Lincoln kämpfte auch Obama in seiner ersten Amtszeit gegen die Blockadepolitik des Repräsentantenhauses, das sich gegen seine Sozial- und Gesundheitsreformen stemmte. Im Gegensatz zu Lincoln unterlag Obama im parlamentarischen Zermürbungskrieg immer wieder, was zu erneuter Demokratiemüdigkeit im Land führte. Dem setzt Spielbergs Lincoln auf historischem Terrain einen äußerst spannenden Demokratiethriller entgegen, der die Niederungen des Parlamentarismus, aber auch die politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Systems differenziert auslotet.

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