Kritik zu Juror #2

© Warner Bros. Pictures

Obwohl es Clint Eastwoods letzter Film sein könnte, sollte er zunächst nur über ­Streaming ausgewertet werden. Dann spielte er bessere Zahlen als erwartet ein. Nicholas Hoult spielt einen Geschworenen, der merkt, dass er selbst in den Fall verwickelt ist

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Die Erwartungen an einen neuen Film von Clint Eastwood waren, das muss man wohl so offen sagen, zuletzt nicht sonderlich hoch. Sa­krileg! Natürlich, der Mann ist schließlich eine Legende des amerikanischen Kinos. Und überhaupt: Sollte man nicht vor allem einem Regisseur Bewunderung zollen, der mit 94 Jahren immer noch hinter der ­Kamera steht? Nur sorgten eben seine jüngsten Arbeiten wie »The 15:17 to Paris« oder »Cry ­Macho« zu Recht meist nicht wirklich für große ­Begeisterung.

Die Behandlung, die Eastwood nun mit seinem neuen und potenziell letzten Film in den USA seitens des eigenen Verleihs erfuhr, war trotzdem erschütternd. Um ein Haar direkt für Streaming ausgewertet, lief »Juror #2« in nicht einmal fünfzig Kinos landesweit an. Auch eine Oscarkampagne wollte man bei Warner Bros. dem Film nicht gönnen. Zu einem kleinen Überraschungs­erfolg (nicht zuletzt in Frankreich) wurde er am Ende trotzdem. Und das zu Recht, denn entgegen mancher Befürchtung ist er Eastwoods bester seit etlichen Jahren.

Gleich zu Beginn wird Justin Kemp ­(Nicholas Hoult) als möglicher Geschworener für einen Mordprozess in Savannah, Georgia einbestellt. Sein Versuch, sich mit Verweis auf seine hochschwangere Ehefrau Ally (Zoey Deutch) von seinen Pflichten ­befreien zu lassen, bleibt ohne Erfolg, und so wird der Lokaljournalist tatsächlich in die Jury berufen, die über den Fall von James Sythe (Gabriel Basso, dessen Erfolgsserie »The Night Agent« diesen Monat auch weitergeht) entscheiden muss. 

Der als aufbrausend bekannte junge Mann wird von Staatsanwältin Faith Kille­brew (Toni Collette), die das Verfahren auch politisch zu nutzen hofft, des Mordes beschuldigt. Nach zu viel Alkohol und einem Streit soll er seine Freundin (Francesca Eastwood) erschlagen haben, deren Leiche an einer Landstraße gefunden wurde. Sythe und sein Anwalt (Chris Messina) beteuern seine Unschuld, doch Zeugenaussagen, medizinische Befunde und andere Beweise sprechen gegen ihn. Die Geschworenen (zu denen unter anderem auch J. K. Simmons als Ex-Cop und Leslie Bibb gehören) könnten zu einer schnellen Entscheidung kommen. Bis Justin dämmert, dass er – obwohl eigentlich trocken – an eben jenem Abend in der gleichen Bar gewesen ist – und auf dem Heimweg glaubte, ein Reh angefahren zu haben. Verunsichert wendet er sich an seinen Sponsor bei den Anonymen Alkoholikern (Kiefer Sutherland), der seinerseits als Anwalt tätig ist. 

»Juror #2« ist weniger ein Justizthriller als ein Gerichtsdrama, denn wie sich der Fall und vor allem die Juryberatungen entwickeln, ist zwar komplex, aber nicht gerade hoch spannend. Es geht hier jedoch auch nicht darum, einen Täter zu finden, sondern um ein Ausloten moralischer Grauzonen in Schuld- und Gewissensfragen und nicht zuletzt um die Mechanismen und inhärenten Ungerechtigkeiten innerhalb des US-amerikanischen Justizsystems, denen sich Eastwood unter anderem auch schon in »Der Fall Richard Jewell« angenommen hatte.

Dass der dieser Tage allgegenwärtige Boom von True-Crime-Podcasts auch in Besprechungsräumen der Geschworenen nicht ohne Folgen bleibt, gehört zu den originellen Einfällen im Drehbuch von ­»Juror #2« (ein Erstlingswerk von Jonathan A. ­Abrams). Doch es wird hier auch immer wieder gehörig die Glaubwürdigkeit strapaziert, angefangen bei der Tatsache, dass der Protagonist als Reporter und interessierter Medienkonsument sicherlich schon lange vor dem Prozess hätte feststellen müssen, wie sehr er selbst in den Fall verwickelt sein könnte. Auch bleibt Eastwoods Inszenierung, nicht zuletzt in visueller Hinsicht, vergleichsweise flach.

Der eher wenig aufregende, aber eben auch angenehm unaufgeregte Stil des Films hat allerdings auch zur Folge, dass man sich ganz auf das hochkarätige Ensemble konzentrieren kann. Dank der bis in die kleinsten Rollen hervorragenden Besetzung (etwa Amy Aquino als Richterin) und vor allem Nicholas Hoult und Toni Collette als »About a Boy«-Reunion der etwas anderen Art in den Hauptrollen ist »Juror #2« am Ende zwar kein Meisterwerk, aber doch weit mehr als solide Unterhaltung.

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