Buch-Tipp: »Clint Eastwood – Mann mit Eigenschaften«

»Für ein paar Dollar mehr« (1965)

»Für ein paar Dollar mehr« (1965)

Vom Outlaw zur Stimme Hollywoods

»Jeez, dieser Typ macht nichts, sagt nichts, steht einfach nur da, mit seiner Zigarre im Mundwinkel«, stellten die Produzenten von Sergio Leone konsterniert fest – als dürfe man für sein Geld schon etwas mehr erwarten. Während die anderen Westerner, seine Kollegen im Film, verschlagen, hinterhältig und gemein wirkten, war er unnahbar und gelassen. Während die anderen schwitzten und grölten, lehnte er sich als Inbegriff der Coolness ganz lässig und furchtlos zurück und wartete auf seinen Moment: Mit der Rolle des namenlosen, wortkargen Reiters in der »Dollar«-Trilogie von Sergio Leone wurde der Amerikaner Clint Eastwood auf einen Schlag berühmt. 

56 Jahre sind vergangen, seit er ihn zum ersten Mal spielte, oder besser verkörperte, in schwarzen Jeans und rustikalem Indio-Poncho, mit einem dünnen Zigarillo in den Mundwinkeln und leicht zugekniffenen Augen unter einem alten, speckigen Cowboyhut. 56 Jahre, in denen er in 71 Filmen spielte und 41 Regiearbeiten (darunter zwei Serien-Episoden) vorlegte. Zu seinem neunzigsten Geburtstag am 31.Mai widmen Autor Kai Bliesinger und der Schüren Verlag ihm jetzt ein Buch, das eine Art Bilanz dieser außerordentlich langlebigen, erfolgreichen und unangepassten Karriere ist, im Wechselspiel von Werk und Kritik. Der berechtigten Frage, warum man ein Buch über einen Mann schreibt, über den alles gesagt und geschrieben scheint, kommt der Autor gleich am Anfang seines Vorworts zuvor. »Vielleicht gerade deswegen.« 

In vier lockeren Interviews mit Experten, die ihren persönlichen Blick auf Eastwoods Werk reflektieren, mit einer Textskizze und zwei Essays, sowie dem Nachdruck eines Textes von Georg Seeßlen rekapituliert und bewertet Kai Bliesener die Genese des Werks und die Wechselwirkungen zwischen dem Schauspieler und dem Regisseur Eastwood, mit einer etwas stärkeren Gewichtung der Regiearbeiten und des Spätwerks. In flott unterhaltsamem Erzählstil lässt Bliesener, der eher Filmfan als Filmkritiker ist und sonst als Mediendesigner, Pressesprecher und Autor von Romanen über Profikiller und Agenten arbeitet, die Stationen dieser illustren Karriere Revue passieren. Konsequent arbeitet er heraus, wie Eastwood einen Heldentypus kreiert und zugleich immer wieder aufs Neue hinterfragt und demontiert hat. Wie er neben den Männlichkeitsbildern auch die Selbstdarstellung Amerikas auf die Probe stellt. Wie es ihm immer wieder gelang, Einzelgeschichten zu finden, in denen sich der Zustand Amerikas spiegelt. Wie kurz der notorische Vorwurf greift, Eastwood vertrete das Weltbild eines rechtskonservativen Waffennarrs und Chauvinisten. Wie er sein eigenes Altern vor der Kamera thematisierte. Und wie er durch eine Kombination von erzählerischer Ökonomie und untrüglichem Gespür für gute Geschichten zu einer der wichtigsten Stimmen Hollywoods heranreifte. Ein bisschen widersprechen möchte man Bliesener, wenn er Eastwood eine enorme Wandlungsfähigkeit als Schauspieler attestiert, denn die Stärke der von ihm verkörperten Figuren liegt weniger im virtuosen Spiel als im coolen Understatement, mit dem er ihre inneren Brüche anklingen lässt.

Aus einem umfangreichen Zitatenschatz aus einschlägigen Print- und Online-Medien kompiliert Bliesener ein vielstimmiges und lebendiges Für und Wider, wägt Kritik und Lob gegeneinander ab, immer wieder ergänzt durch die gewohnt unprätentiösen Statements von Eastwood selbst. Nicht ganz schlüssig ist die Trennung der beiden zentralen Essays mit den etwas umständlichen Titeln »Der König der Dunkelheit – Der Versuch einer Annäherung auf Abstand an einen großartigen Filmemacher« und »Der schauspielernde Regisseur Clint Eastwood – Portrait eines Outlaws und Entwicklungsgeschichte eines Darstellers«, in denen dann auch mehrfach dieselben Zitate herangezogen werden. Und manchmal wünschte man sich, der Autor würde sich weniger vollständig an der Filmografie abarbeiten und stattdessen hier und da kühnere Schneisen schlagen, so wie es Georg Seeßlen in seinem komplexen Text auf weniger Raum mühelos gelingt.

 

Kai Bliesener: Clint Eastwood – Mann mit Eigenschaften. Schüren, Marburg 2020. 208 S., 24,90 €.

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