Kritik zu Fritz Lang
Gordian Maugg hat schon in früheren Filmen Realität und Fiktion vermischt. Jetzt spürt er der Vorgeschichte von Fritz Langs Meisterwerk »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« nach
Die späten zwanziger Jahre waren ein Zeitalter der Krise. Die Weltwirtschaftskrise erschütterte 1929 auch die Weimarer Republik und ließ die Zahl der Arbeitslosen ansteigen. Auf den Straßen zeigten die Nazis ihre erstarkende Präsenz, die Goldenen Zwanziger waren am Ende. Und im Filmbereich zeigte sich mit der Premiere des ersten Tonfilms The Jazz Singer, dass hier die größte technisch-ästhetische Umwälzung seit der Erfindung des Films anstand.
Auch der Filmregisseur Fritz Lang ist sichtbar in der Krise. Er hat zwar einen Produzenten für seinen neuen Film, Seymour Nebenzahl – aber noch keinen Stoff. Zwar scheint sein letzter Stummfilm »Frau im Mond« ein Erfolg zu werden – die verlorenen Millionen, die er mit »Metropolis« in den Rachen des Molochs geworfen hat, haften ihm noch an. Aus seiner Liebe zu Thea von Harbou ist eine Arbeitsbeziehung geworden. Und von seinen eigenen Partys stiehlt er sich davon, um bekokst schnellen und brutalen Sex auf dem Straßenstrich zu suchen.
Gordian Maugg hat unter dem leicht irreführenden Titel »Fritz Lang« kein ausuferndes Biopic gedreht, sondern gewissermaßen die Vorgeschichte zu Fritz Langs erstem wirklichem Meisterwerk »M – Eine Stadt sucht einen Mörder«, das im Jahr 1931 gedreht wurde und Premiere hatte. Maugg hat immer wieder – wenn auch nicht nur! – Filme vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte gedreht, in denen er kunstvoll eine inszenierte Geschichte mit Archivmaterial verband. Schon sein erster Film »Der Olympische Sommer« (1993), gedreht mit einer alten Askania-35-mm-Kamera, mischte eine Liebesgeschichte zwischen einem jungen Handwerksgesellen und einer älteren Witwe mit Aufnahmen realer Ereignisse.
Als Lang nach Hause kommt, sieht er auf dem Titel einer Zeitung einen Artikel über einen Serienmörder, der in Düsseldorf sein Unwesen treibt. Der legendäre Berliner Kriminalrat Gennat ermittelt in diesem Fall. Lang setzt sich sofort in den Zug, aber nicht ohne vorher sein Monokel-Set zusammenzustellen. Heino Ferch, zuletzt leider mehr im Fernsehen denn im Kino zu Hause, ist die perfekte Besetzung für diesen Fritz Lang und seinen aristokratischen Habitus. Er spielt ihn stoisch, ja fast arrogant, als einen Beobachter, aber Ferch gelingt es immer wieder, uns Zuschauern zu zeigen, wie es in ihm gärt, wie der Düsseldorfer Fall seine eigene Vergangenheit in ihm heraufbeschwört.
Lang selbst hat immer, wie sein Biograf Norbert Grob schreibt, allzu eindeutige Parallelen zu den Verbrechen des Düsseldorfer Serienmörders Peter Kürten abgestritten (dessen Prozess ja auch erst wenige Tage vor der Premiere von »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« begann). Aber er hat auch betont, dass sein Film, der einmal den Arbeitstitel »Mörder sind unter uns« trug, von Fakten inspiriert worden sei. Mauggs »Fritz Lang« ist Kino, kein Dokumentarspiel, das darf man nie vergessen. Langs Düsseldorfer Aufenthalt dürfte komplett erfunden sein, ebenso seine Begegnung mit dem Serienmörder – und der Tod von Fritz Langs erster Ehefrau ist bis heute ungeklärt. Aber Peter Kürten (Samuel Finzi) hat es genauso gegeben wie den legendären Kriminalrat Gennat (Thomas Thieme), der Lang Vorbild war für den Kommissar Lohmann in »M« und seinem letzten deutschen Film vor seiner Emigration, »Das Testament des Dr. Mabuse«.
In »Fritz Lang« hat Maugg sein Verfahren der Vermischung von Inszenierung und Archivaufnahmen noch einmal perfektioniert. Der Film ist, wie die Filme jener Zeit, im altmodischen 4:3-Format gedreht (Lang selbst hasste Breitwand – das sei etwas für Filme über Schlangen, soll er gesagt haben) und fotografiert in einem fast expressiven Schwarz-Weiß. Aber »Fritz Lang« ist kein Film der Effekte, kein zweiter »Zelig«, sondern ein Film der Montage. Oft schneidet Maugg geradezu beiläufig und äußerst raffiniert Archivmaterial in die Handlung, etwa Taxifahrten oder auch einen Wochenschaubericht über Lang selbst. Später kommen noch Ausschnitte aus Langs eigenen Filmen, meist aus »M«, hinzu. Das ist ein höchst artifizielles Amalgam, bei dem Maugg aber nie seine Hauptfigur vergisst. Der Regisseur Fritz Lang ist in der Darstellung dieses Films kein heroisches Übergenie, sondern ein Getriebener hinter der Maske eines Snobs.
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