Kritik zu Friedensschlag
Der Tod Dominik Brunners auf einem Münchner S-Bahnhof brachte das Thema Jugendgewalt in alle Medien. Gerardo Milszteins Dokumentarfilm porträtiert nun eine eigenwillige Resozialisierungsmaßnahme für gewaltbereite junge Männer
Schlagen und treten, bis der andere sich nicht mehr rührt. So haben zwei Jugendliche auf dem Sollner S-Bahnhof den Manager Dominik Brunner getötet. Hätte auch Eftal einer der Täter sein können? Oder Josef, Marco, Denis oder Juan? Eftal hat einen Menschen fast totgeschlagen, wie die übrigen Jungen gilt er als extrem gewaltbereit. Was sind das für Menschen, die so schnell und so brutal zuschlagen? Gibt es eine Alternative für sie zu Knast und Wegsperren?
Gerardo Milsztein legt mit »Friedensschlag« ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Hilfe statt härterer Strafen vor. Er hat die fünf Jugendlichen ein Jahr lang begleitet, beim Projekt der »Work and Box Company«, einer privat geführten Einrichtung in der Nähe von München, die handwerkliche Arbeit, Boxsport und Therapie zu einem eigenwilligen Resozialisierungskonzept verbindet. Hier lernen die Jungen, sich an Regeln zu halten, sich Konflikten zu stellen, ohne andere Menschen zu verletzen, sich – beim Boxen – berühren zu lassen, ohne als schwul zu gelten. Das Ziel: Selbsterkenntnis, das Durchbrechen alter Muster; außerdem ein Schulabschluss für alle und eine Lehrstelle.
Gewöhnlich taugen Sozialpädagogen ja nicht unbedingt zu Filmhelden. In »Friedensschlag« aber sind sie die Stars, wie Werbung für die »Company« sieht der Film zwischendurch aus. Gerardo Milsztein macht kein Hehl daraus, wie sehr ihm diese Menschen und ihre Arbeit imponieren. Die üblichen Bedenken gegenüber solchen Resozialisierungsprojekten muss Friedensschlag vielleicht auch gar nicht formulieren, weil sie die meisten Zuschauer ohnehin im Kopf haben. Dennoch wünschte man dem Film mehr Abstand. Ein weiterer Aspekt, der nicht vertieft wird, ist die grundsätzliche Perspektivarmut der Jungen, selbst bei einer geglückten Resozialisierung. Wenn ihnen schließlich Lehrstellen auf dem Bau oder in anderen wenig nachgefragten Jobs angeboten werden, dann ist das für die Jugendlichen zunächst vielleicht wie ein Hauptgewinn, für den Film aber wäre auch eine Spur von Wut angemessen gewesen, angesichts der Lebensaussichten, die diesen Jungen in die Wiege gelegt worden sind.
Überzeugend ist das Bildkonzept. Milsztein, der bislang vor allem als Kameramann gearbeitet hat, unter anderem für Clemens Kuby und Bertram Verhaag, und seinen Film auch selbst fotografiert hat, bleibt am Anfang auf Distanz zu den Jungen, filmt sie durch Fensterscheiben hindurch oder über trennende Bildelemente hinweg. Das passt, weil auch die Jugendlichen und der Zuschauer erst einmal auf Abstand gehen. Umso stärker wirkt die allmähliche Annäherung, bei der man überrascht feststellt, dass diese Jungen, denen man eine besondere Nähe zur harten Lebensrealität unterstellt hatte, genau das, nämlich der Zugang zur Realität, oft fehlt. Milsztein romantisiert ihre Gangsta-Selbstinszenierung in keinem Moment, entdeckt bei jedem coolen Schläger dessen Hilfsbedürfigkeit, was vor allem Eftal einige Momente beschert, die ans Herz gehen. Dabei schützt Milszteins Formbewusstsein den Film und seine Protagonisten weitgehend vor Sozialkitsch. Es ist im Film eben nicht anders als beim Boxen: Je heftiger es zur Sache geht, desto wichtiger wird die Einhaltung der Spielregeln.
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