Kritik zu Fish Tank
In ihrem zweiten Spielfilm begibt sich die britische Regisseurin Andrea Arnold in die unbehagliche Lebenswelt einer 15-Jährigen, die mit der eigenen Mutter um deren neuen Freund zu buhlen beginnt
In jedem Atemzug, in jedem Blick, in jeder Bewegung und jeder Geste ist sie zu spüren, die rebellische Wut, die durch diesen schmalen, sehnigen Teenagerkörper pulsiert, wie ein mächtiges Monster. Die Art, wie die damals achtzehnjährige Katie Jarvis dieses zierliche Mädchen namens Mia im Kriegszustand der Hormone und Gefühle darstellt, ist ein eindrucksvolles Schauspieldebüt, das vermutlich schmerzlich nah an ihrer eigenen Lebenserfahrung liegt: Entdeckt wurde Jarvis am Bahnhof beim heftigen Streit mit ihrem Freund, und auch sie selbst ist in ihren jungen Jahren schon Mutter eines Kindes.
Andrea Arnold hat ein besonderes Gespür für das Lebensgefühl der Underdogs an den ausgefransten Rändern der englischen Klassengesellschaft. In ihrem mit dem Oscar ausgezeichneten Kurzfilm »Wasp« erzählte sie bereits von einer viel zu jungen und überforderten Mutter mit bereits drei Kindern. Darauf folgte ihr erster langer Spielfilm »Red Road«, in dem sie in Glasgow mit den Bildern allgegenwärtiger Überwachungskameras in einer tollen Mischung aus Raffinesse und Beiläufigkeit einen intensiven, leisen Rachethriller anzettelte. Nun also die trostlosen Neubauten und das industrielle Brachland von Essex, und ein Mädchen auf Konfrontationskurs mit der Welt. Sie fühlt sich nicht wohl in ihrem Leben, schlimmer noch, in ihrer Haut, und man kann es ihr kaum verdenken. Zu den normalen Problemen eines pubertierenden Teenagers kommen bei Mia die Fallstricke des Milieus: Armut, Arbeitslosigkeit, emotionale Verwahrlosung im Haushalt mit einer viel zu jungen Mutter, keine Aussicht auf eine Ausbildung, einen Job, eine Chance.
In aggressiven Bewegungen und im Hip-Hop-Stakkato rüder Beschimpfungen kommt ihr ganzer Frust zum Ausdruck, ebenso wie in der gierig entschlossenen Art, mit der sie Bier und Schnaps in sich hineinschüttet, wann immer sie an den »Stoff« herankommt. Dieser Frust zündet einen bösen Funken, als ihre Mutter einen neuen Freund mit nach Hause bringt, den von Michael Fassbender gespielten Connor, der zunächst wie eine frische Brise durch die verwahrlosten Existenzen weht. Mia belauert ihn mit einer Mischung aus Eifersucht auf den Eindringling und erwachendem Begehren. Instinktiv wittert sie eine Chance, ihrer Mutter eins auszuwischen. Die wiederum spürt die Gefahr, doch je mehr sie versucht, ihre Tochter fernzuhalten, desto entschlossener bleibt sie dran. So entwickelt sich ein subtiles Spiel mit den Spannungsverhältnissen, ein fein austariertes Tauziehen der Gefühle, das einen zunehmend stärkeren schicksalhaften Sog entwickelt. Das Interesse, das Connor ganz arglos und ohne Hintergedanken zeigt, setzt einen gefährlichen Mechanismus in Gang. Allein die Tatsache, dass da mal jemand zuhört, wenn sie spricht, zuschaut, wenn sie tanzt, sie überhaupt wahrnimmt, so fürsorglich, wie sie es vermutlich in ihrem Leben nicht oft erlebt hat, mit ihrer jungen, instabilen Mutter, macht sie anfällig. Als dann eines Nachts eins das andere ergibt und Connor seine Grenzen auf dem Sofa vor dem Fernseher überschreitet, eröffnen sich für Mia Welten, die sich Sekunden später wieder abrupt verschließen.
Konsequent erzählt Andrea Arnold diese traurige Geschichte aus der Perspektive von Mia, die sich in einem aussichtlosen, eng begrenzten Leben bewegt wie ein kleiner Fisch hinter dem Glas eines Aquariums. »Fish Tank« ist der Tradition der britischen Kitchen Sink-Filme verpflichtet, mit einem Gefühl für die Verhältnisse, das spürbar von Ken Loach inspiriert ist, von dem sich die Autorin und Regisseurin auch Kierston Wareing (»It's a Free World«) als Darstellerin der Mutter geholt hat. In langen Einstellungen nimmt die Handkamera (Robbie Ryan) die verletzten Gefühle dieses Mädchens mit seismografischer Direktheit auf, in einem kleinen Format, das die aussichtslose Enge dieser Welt betont und das Lebensgefühl geradezu physisch spürbar macht. Doch das größte Wunder an diesem ergreifenden Film ist, dass Andrea Arnold bei aller Tragik doch auch immer wieder mal so etwas wie einen menschlichen Hoffnungsschimmer freisetzt, ohne dabei den leisesten Verdacht von Kitsch oder Sentimentalität zu wecken oder das dumpfe Gefühl, sie würde die Wirklichkeit mit den Mitteln des Kinos korrumpieren.
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