Kritik zu Emily

© Wild Bunch

Filme über die Brontë-Schwestern sind ein Schrecknis für Literaturhistoriker. Auch Frances O'Connor geht nonchalant mit den Fakten um, zeichnet jedoch ein eindringliches Porträt ihrer Heldin

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Es dauert lange, bis man zum ersten Mal das Kratzen einer Feder auf Papier hört. Erst gegen Ende tritt dies Geräusch auf den Plan, als die Schwestern sich an die Manuskripte ihrer großen Romane setzen. Bis dahin sind die Gedichte oder Briefe immer schon fertig. Sie sollen gelesen werden, aber nicht entstehen: Ihre Wirkung zählt. 

Das Porträt einer Schriftstellerin, das sich rein gar nicht für den Akt des Schreibens interessiert? Dieses Versäumnis hat »Emily« mit den früheren Filmen über die Brontë-Schwestern gemeinsam, der Warner-Brothers-Produktion »Devotion« aus den 1940ern (mit Ida Lupino und Olivia de Havilland) ebenso wie »Die Schwestern Brontë« von André Téchiné. In ihrem Mythos sind zwar Erleben und literarische Schaffenskraft untrennbar miteinander verknüpft, aber für das Kino scheint das Zusammenleben von Emily, Charlotte, Anne und ihrem Bruder Branwell ungleich faszinierender. Es ist schlicht unwiderstehlich, das Pfarrhaus in Yorkshire, in dem sie aufwachsen, als ein Treibhaus der Geschwisterliebe, Rivalität, Missgunst und Inspiration zu erkunden. Der Mythos ist durchaus strapazierfähig, lässt Perspektivenwechsel und Variationen zu (mal ist der Vater strenger und mal Branwell weniger haltlos). Zwei Parameter verändern sich in den Versionen jedoch nicht: Anne ist stets die Übersehene und Emily die sicherste Garantie fürs Melodrama. 

Das Regiedebüt der Schauspielerin Frances O'Connor legt mithin den Fokus auf den ewigen Sonderling der Familie, die Verfasserin von »Sturmhöhe«. Im Kern geht es um die Frage, welch innerem Aufruhr sie ihren Roman entband. Zu Beginn der Rückblende, welche die Antwort liefern soll, ist Emily (Emma Mackey) fast noch ein Wildfang, aber bereits ein Freigeist. Der Pakt des Erfindens von Geschichten und Welten, den die Geschwister in der Kindheit schlossen, löst sich allmählich auf. O'Connors Drehbuch dichtet Emily eine stürmische Liebesgeschichte mit dem neuen Vikar der Gemeinde (Oliver Jackson-Cohen) an, einem charmanten Puritaner, der nun erfährt, wie zerrissen er ist. Die geheime Leidenschaft weckt die Eifersucht Branwells (Fionn Whitehead), der bis dahin ihr engster Seelenvertrauter war. 

O'Connor, bereits als Darstellerin (»Mansfield Park« u. v. m.) eine Spezialistin für die sittlichen Verschnürungen des Viktorianischen Zeitalters, nimmt genau und betont unironisch in den Blick, wie ehern die Vorstellungen von Schicklichkeit und Anstößigkeit in dieser engen, abgeschiedenen Provinzwelt sind. Die Atmosphäre spielt mit, Landschaft und Witterung setzen dramatische Akzente. Eindringlich wird der Film vor allem dank der DarstellerInnen, deren Gesichter in intimer Frontalität gefilmt werden: offen, angreifbar und widerständig. Der zugeneigte Blick des Films mündet indes in eine bedenkliche Moral: Das Schreiben des Romans scheint ihm nur legitimiert durch Verlust und Schmerz; er hat keinen Begriff von Emilys Gabe und Vorstellungskraft. 
 

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