Kritik zu Du sollst nicht lieben
Haim Tabakmans erster Spielfilm erzählt das Drama der Liebe zwischen Männern im ultraorthodoxen Judentum und setzt lebendige Sehnsucht gegen starre Verhaltensvorschriften in Jerusalem. Bis Ezri in sein durchreglementiertes Leben platzt, Aaron die Männerliebe entdeckt und mit seinem eigenen Moralkodex in einen unlösbaren Konflikt gerät
Eines Tages steht er vor der Tür der Fleischerei. Einfach so. Vom Regen durchnässt, mit nichts weiter als einer halbvollen Reisetasche. Er kommt aus unbestimmter Richtung mit unbestimmten Ziel und bleibt auf unbestimmte Zeit. Ein einziges menschliches Ungefähr, das als solches sicher nicht zufällig an die Erscheinung des Gastes in Pasolinis »Teorema – Geometrie der Liebe« erinnert. Man erfährt nicht mehr als seinen Namen: Ezri. Und doch verbergen sich hinter Ezris Auftritt von der ersten Sekunde an ein ungeheures Versprechen und eine Katastrophe, aus der es in einem Leben menschlicher Kontrollen und göttlicher Strafen keinen Ausweg gibt.
Ausgerechnet bei Aaron (Zohar Strauss), dem angesehenen Familienvater einer ultraorthodoxen Gemeinde in Jerusalem, muss Ezri (Ran Danker) auftauchen. Ausgerechnet an diesem Tag, an dem Aaron nach einer streng reglementierten Trauerzeit das Geschäft des verstorbenen Vaters wieder in Betrieb nehmen will. Ausgerechnet in dieser Fleischerei muss es geschehen, dass Aaron der schwersten religiösen Prüfung seines Lebens ausgesetzt wird. Der Liebe. Und zwar der zu einem schönen, jüngeren jüdischen Mann.
»Du sollst nicht lieben«, das Spielfilmdebüt von Haim Tabakman, ist eine mutige Ungeheuerlichkeit. Nicht allein wegen des Tabubruchs, die Enthemmung zweier verliebter Männer mitten in einer von Ritualen und Regeln bestimmten Gesellschaft zu platzieren. Sondern auch wegen der Stilsicherheit und formalen Konsequenz, mit der diese existenzsprengenden Gegensätze im Bild ihren Ausdruck finden. Dafür schafft Tabakman eine Atmosphäre erstickender Enge, eine, in der Plakate den sündigen Nachbarn denunzieren und von der Gemeinde berufene Sittenwächter Abtrünnige aus dem Viertel prügeln. Und mittendrin Aaron, der bigotterweise seinerseits im Auftrag der Gemeinde ein Liebespaar gehörig zusammenstaucht, weil die Frau längst einem anderen versprochen wurde.
Bei allem Leiden und allem Schmerz lässt sich Tabakman jedoch nicht zum Plakativen hinreißen und nicht dazu, die Menschen der orthodoxen Gemeinschaft selbst zu diffamieren. Am schönsten wird das deutlich in den Szenen, in denen er Aarons Frau Rivka zeigt. Wie sie in unbeobachteten Momenten ihr Haar auf Hochglanz bürstet, mit einem beherzten Ruck die Betten zusammenschiebt oder sich recht resolut das Nachthemd aufknöpft. Die Zeichen ihres Begehrens mögen verstörend sachlich und unromantisch daherkommen, dennoch stehen sie für eine schöne Selbstverständlichkeit. Die kluge Rivka setzt ihren Mann nicht mit Gezeter oder Denunziationen, nicht mit den Regeln des Anstands oder auch des Anscheins davon unter Druck. Sie fordert nur Klarheit und Entscheidung. Zur Verhandlung ihrer Ehekrise braucht sie nicht mehr als eine Frage: Willst du woanders sein? Und Aaron nicht mehr als ein Wort: Nein.
Damit ist die verbotene Liebe zwar nicht kleinzukriegen. Aber gegen die lange Tradition, in der es homosexuelles Begehren nur als kranke Verfehlung gibt, hat sie nur in der Heimlichkeit und der Verstellung eine kurze Chance.
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