Kritik zu Die Zeit, die wir teilen

© Camino Filmverleih

Stille Reflexion einer intellektuellen Frau, die in der Konfrontation mit sich selbst unangenehmen Wahrheiten begegnet, diese aber schließlich bewältigt. Eine Glanzrolle für die im Alter immer besser werdende Isabelle Huppert

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»Ich kann ohne dich nicht leben«, jammert der Erfolgsschriftsteller Tim Ardenne (Lars Eidinger) ins Telefon, und weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er mit seiner deprimierten Hartnäckigkeit Erfolg haben wird. Er wird tatsächlich zur neuen Konstante im Leben seiner Verlegerin Joan Verra (Isabelle Huppert), bei der äußerlich alles glatt zu laufen scheint. Als sie aber eines Tages nach Jahren zufällig ihre erste große Liebe Doug (Stanley Townsend) wiedertrifft, bricht Vergangenes überraschend wieder auf und sie zieht sich für ein paar Tage in ihr Landhaus zurück.

Der Film beginnt mit einem beliebten Kunstgriff des psychologischen Kinos. Joan durchbricht die vierte Wand und erzählt von ihrem irischen Vater, ihrem im Französischen ungewöhnlichen Vornamen Joan, ihrer Mutter und ihrer Zeit als Studentin in Irland. Wie sie sich in den smarten Taschendieb Doug verliebt, mit ihm auf kleine Raubzüge geht, erwischt und verhaftet wird und ihn dann aus den Augen verliert. Zurück in Frankreich bekommt sie das gemeinsame Kind Nathan und zieht es alleine auf. Sie muss miterleben, wie ihre Mutter sich den Reizen eines japanischen Kampfsport-Meisters ergibt und mit ihm nach Japan geht. Sie erzählt, wie sie sich erfolglos gegen die Annäherungsversuche ihres deutschen Autors Tim Ardenne wehrt und jetzt versucht, Kunst und Leben zusammenzubringen. 

Zwischen diesen beiden Ebenen, Kunst und Leben, wohnt die Liebe. In Laurent Larivières Film festgehalten in einer verwirrenden Sex-Szene zwischen einem Riesen-Oktopus und einer bildschönen Frau, die ebenso ohne Worte auskommt wie die Liebe der Mutter zu ihrem Sportlehrer, einer Liebe, die keiner Übersetzung bedarf und in der Fremdheit ihre Magie entfaltet. 

Völlig überraschend muss Joan nach zwanzig Jahren feststellen, dass ihre Mutter nur wenige Kilometer von Paris entfernt gestorben ist. Wie lange sie in Japan war und ob überhaupt, ob die Liebe glücklich endete oder nicht, bleibt offen. In einem Brief an Joan deutet die Mutter beide Möglichkeiten an.

Der Theaterregisseur Laurent Larivière nutzt die Möglichkeiten des Kinos, überstrapaziert sie aber nicht. Er lässt Isabelle Huppert nur ein einziges Mal zum Zuschauer sprechen, weicht nur ein einziges Mal in symbolhafte Fantasiewelten aus und lässt nur ein einziges Mal Traum und Wirklichkeit verschwimmen. Er verlässt sich auf eine großartige Isabelle Huppert und ihre unnachahmliche Art, Verletzlichkeit und äußerliche Stabilität zusammenzubringen. Sie spielt ohne jede sichtbare Anstrengung eine selbstbewusste, unnahbare, innerlich aber sehr verletzte Frau, die nicht nur beruflich, als Lektorin, immer wieder mit der Kluft zwischen Kunst und Realität konfrontiert wird. Dabei hat man den Eindruck, dass Larivière in seinem überaus gelungenem Film Lars Eidinger und seine manchmal chargenhafte Exzentrik besetzt hat, um genau das zu entlarven. In Eidingers Figur gibt es kaum wirkliches Leben mehr, alles an ihm wirkt wie überbordende Künstlichkeit.

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