Kritik zu Die Lincoln Verschwörung

© Tobis

2010
Original-Titel: 
The Conspirator
Filmstart in Deutschland: 
29.09.2011
L: 
122 Min
FSK: 
12

Gerechtigkeit oder Rache? Eine nahezu unbekannte Episode der amerikanischen Geschichte wird in Robert Redfords bezwingend uneitler neuer Regiearbeit zum Exempel für sehr aktuelle Fragen

Bewertung: 4
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In kaum einem Geschichtsbuch wird sie erwähnt, kaum ein US-Amerikaner hat je von ihr gehört. Das Schicksal von Mary Surratt ist lediglich eine Randnotiz der Historie, obwohl oder gerade weil es so eng verknüpft ist mit einem tiefen Trauma der USA, der Ermordung von Abraham Lincoln. Robert Redford hat nun nicht diesem überaus verehrten US-Präsidenten und auch nicht seinem Mörder John Wilkes Booth, sondern jener Frau einen Film gewidmet, die im Juli 1865 als eine von mehreren Mitverschwörern gehängt wurde.

Das akribisch recherchierte und sehr genau entlang der Fakten erzählte Drehbuch von James D. Solomon rekapituliert ihren Prozess und die Umstände ihrer Verurteilung aus der Perspektive des jungen Anwalts Frederick Aiken, gespielt von James McAvoy. Als gefeierter Nordstaaten-Held aus dem verheerenden Bürgerkrieg zurückgekehrt, übernimmt er nur widerwillig die Verteidigung dieser Mandantin. Mary Surratt, zurückgenommen und doch voller Kraft und Spannung verkörpert von Robin Wright, stammt aus einer Familie ehemaliger Sklavenhalter und ist immer noch überzeugte Anhängerin der unterlegenen Konföderierten. In ihrer kleinen Pension hahaben die Verschwörer gegen Lincoln ihre Tat geplant, und ihr Sohn, der flüchtig ist, soll ebenfalls zu den Mördern gehören. So bedarf auch ihre Schuld für die meisten keines Beweises mehr. Die verschlossene Frau tut kaum etwas zu ihrer Entlastung, nur ihren Sohn will sie nicht ans Messer liefern.

nicht ans Messer liefern. Um es gleich vorweg zu nehmen: Auch der Film tut nur wenig zu ihrer Entlastung; er zieht aus der dürftigen Beweislage zwar eigene Schlüsse, legt sich aber auf keine vermeintliche Wahrheit fest. Ob Surratt schuldig oder unschuldig ist, wird im Verlauf der Erzählung zweitrangig. Worum es dem Film geht, und was er an diesem Fall sehr konzentriert und engagiert entfaltet, ist eine Metafrage: Müssen wir unsere Begriffe von Menschenrecht und Bürgerrecht immer auch jenen zugestehen, die genau diese Begriffe infrage stellen? – Obwohl sie die Frage klar beantworten, erliegen Solomon und der für seine liberale Haltung bekannte Redford nie den Verlockungen von Pathos oder Unschuldssentiment. Sie legen zahlreiche Spuren in die Gegenwart, insbesondere natürlich zu den Maßnahmen der Bush-Administration nach dem 11. September 2001. Sie zeigen, wie schnell in einem aufgeheizten Klima die verfassungsmäßig garantierten Rechte von Verdächtigen zur Disposition stehen, wie schnell Gerechtigkeit dem Wunsch nach Rache geopfert wird. Und wie Politiker – hier der von Kevin Kline gespielte Kriegsminister Edwin Stanton – bereit sind, um der Staatsräson willen kurzen Prozess zu machen. Das erkennt im Film auch der junge Anwalt, und er beginnt, für ein faires Verfahren zu kämpfen, selbst wenn Surratt zu einer »Achse des Bösen« gehören sollte und nicht an der neuen Gesellschaft teilhaben will, für die Lincoln gekämpft hat. So setzt er sich gegen alle Vorverurteilungen für seine nur mäßig kooperative Mandantin ein, nimmt sogar den Verlust von Freunden und seiner verständnislosen Geliebten in Kauf.

Redfords Film mutet auf sympathische Weise altmodisch an: in seinem Plädoyer für hehre Ideale und ihre praktische Umsetzung, in seiner geradlinigen, ganz und gar uneitlen Inszenierung und seiner Konzentration auf sein famoses Ensemble, zu dem neben den Genannten etwa Tom Wilkinson, Evan Rachel Wood und Danny Huston gehören. Außerdem: in seiner differenzierten Darstellung einer vergangenen Epoche, in der der Bürgerkrieg zwar nicht mehr auf den Schlachtfeldern, doch in den Köpfen und Herzen der Amerikaner weiter wütete. Ebenso akribisch wie den besonderen Fall zeichnet der Film denn auch seine Zeit nach – zuweilen ist er mehr historisches Gesellschaftsporträt denn ein Gerichtsdrama. Obwohl man durchaus behaupten könnte, er sei dialoglastig, erhält er seine Glaubwürdigkeit vor allem durch die Bilder. Die schwelgen nicht ostentativ in prächtigem Dekor, sondern beschwören eher im Vorübergehen mit stimmigen Sets und Kostümen eine vergangene Welt, auch darin so kunstvoll wie uneitel. Newton Thomas Sigels Kamera erweckt sie in Gas- und Petroleumlicht, in zunächst leuchtenden, dann immer matteren Farben zum Leben. Kein Zweifel: Diese Zeit und ihre Konflikte sind uns näher, als uns lieb sein kann.

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