Kritik zu Die Frau des Leuchtturmwärters
Der 50-jährige französische Tonspezialist Philippe Lioret hat bisher erst vier eigene Filme gedreht, von denen nur einer bei uns ins Kino kam. Der zu Hause außerordentlich erfolgreiche »L'Équipier« – so der Originaltitel – dürfte gerade fürs deutsche Publikum eine Entdeckung sein
Dieser Film schillert zwischen den Zeiten, als würde er gleich mehreren Kinoepochen angehören. Der deutsche Verleihtitel evoziert eine augenblicklich vertraute Konstellation des Melodrams und stellt ihn, noch weit deutlicher als das Original, in eine Erzähltradition, in der an einem abgeschiedenen Ort die Elemente und Gefühle mit Heftigkeit anbranden und den Widerstreit austragen zwischen Bodenständigkeit und verlockender Ungewissheit. Die Handlung kreist um jenen Konflikt, der dem französischen Vorkriegskino besonders teuer war: zwischen Freundschaft und erotischer Rivalität.
Regisseur Philippe Lioret geniert indes dies Flair des Rückständigen, er besteht darauf, einen ganz modernen Filme gemacht zu haben; Jean Grémillons »Remorques« (Schleppkähne, 1939) mit Jean Gabin und Michèle Morgan, an den »Die Frau des Leuchtturmwärters« explizit erinnert, habe er nie gesehen. Dabei war es gerade die enge Verbindung, die sein Film mit den Traditionen des Melos hält wie sonst nur noch das Fernsehen, die ihm in Frankreich einen so großen Publikumserfolg beschert hat. Die eigene Positionsbestimmung ist heikel für diesen Regisseur, der nach vier Filmen in elf Jahren auch in Frankreich noch seiner Entdeckung harrt; in unseren Kinos ist bislang nur die Liebeskomödie »Mademoiselle« (2000) mit Sandrine Bonnaire und Jacques Gamblin gelaufen. Dabei hat Liorets Werk bereits unverwechselbare Konturen gewonnen dank seines geschmeidig zwischen den Genres wechselnden Erzähltemperaments und ausgeprägten Vorlieben. »Meine Filme haben eine enge Beziehung zum Verstreichen der Zeit«, erklärt er. »Ich kann mir keinen Stoff vorstellen, ohne exakt zu wissen, in welchem Zeitraum er spielt. Meine Filme respektieren die klassische Einheit von Ort, Zeit und Handlung. In meinen ersten beiden Filmen waren es jeweils wenige Stunden. Seit Mademoiselle fasziniert mich zusehends das Wesen der Erinnerung, die erzählerische Konzentration, wo ein Detail plötzlich die Vergangenheit heraufbeschwört.«
Der widerwillige Klassizist Lioret räumt für »Die Frau des Leuchtturmwärters« immerhin eine enge Verwandtschaft mit Clint Eastwoods »Die Brücken am Fluss« ein. Mit ihm hat er die Rückblendenstruktur gemeinsam, in deren Verlauf sich eine heimliche, erst im Nachlass einer Verstorbenen entdeckte Liebesgeschichte entfaltet. Als sie ihr Elternhaus verkaufen will, erfährt Camille, dass ihre Mutter Mabé (Sandrine Bonnaire) vor 40 Jahren eine Affäre mit Antoine (Grégori Derangère) hatte, einem Kollegen ihres Mannes (Philippe Torreton). Eine Liaison, die beide nicht vergessen konnten; er hat gar einen Roman darüber geschrieben, nach dessen Lektüre Camille ihre eigene Herkunft plötzlich in einem anderen Licht erblickt.
Der Originaltitel »L'Équipier« – das Mannschaftsmitglied – hat eine wechselnde, zunächst ironische Bedeutung. Der Neuankömmling Antoine bleibt ein Ausgestoßener auf der bretonischen Insel Ouessant, er wird von seinen stolzen Kollegen abgelehnt, weil er keiner der ihren ist und den Beruf des Leuchtturmwärters nicht aus Familientradition ergriffen hat. Zögerlich geben sie dem gelernten Uhrmacher die Chance, sich in dem rauen, gefährlichen Metier zu bewähren; ihren Argwohn gegenüber dem Fremden legen sie nie ganz ab. Lioret hat ein Faible für derlei Erzählkonstellationen: schon in seiner zweiten Regiearbeit »Tenue correcte exigée« (1997) bringt ein Außenseiter eine geschlossene Gesellschaft durcheinander, und in Mademoiselle variieren die Stegreifinszenierungen der Schauspieltruppe Jacques Gamblins dieses Motiv des sozialen Regelbruchs komödiantisch. Hier verweist das Gefühl des Deplatziertseins auf ein weiteres Genre, den Western. Der Algerienveteran Antoine ist ein Ruheloser, der ein dunkles Geheimnis mit sich trägt. Freundlich und demütig weicht er jeder Konfrontation aus, man ahnt, wie erbittert er damit ringt, eine verborgene Gewaltbereitschaft im Zaum zu halten. Die Topographie beglaubigt die Abkunft vom Western: Der Leuchtturm liegt an der äußersten Spitze Europas.
An diesem Ende der Welt hofft Antoine, Erlösung zu finden. Den Gesetzen des Melodrams entsprechend, müsste der Natur, den Elementen an diesem Fluchtpunkt die moralische Kraft innewohnen, zu richten und zu vergeben. Lioret mag keineswegs auf das Tosen der Meeresstürme als Gleichnis für das Ausbrechen der Leidenschaften verzichten. Aber es ist eine gewissermaßen ungeschlachte Subtilität, mit der er die Emotionen an die Oberfläche befördert, wenn er das nächtliche Meer ins Rotlicht des Leuchtturms taucht und ein Feuerwerk montiert zur ersten Liebesnacht von Mabé und Antoine. Eine aufgeklärte Lust an der Konkretion des Erzählens herrscht in »Die Frau des Leuchtturmwärters«, eine Beherrschtheit, die visuellen Möglichkeiten seines Sujets nicht vollends auszuschöpfen. »Wie es in einer Leuchtturmspitze aussieht, hat man im französischen Kino nie wirklich zu sehen bekommen«, sagt Lioret. »Aber meine größte Sorge war stets, meine eigentlich intimistische Geschichte auszubalancieren mit einer überwältigenden, atemberaubenden Umgebung.« Insgeheim hat er gewiss begriffen, welches Kompliment der Vergleich mit Grémillon ist.
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