Kritik zu Der Spatz im Kamin
Im dritten Teil ihrer faszinierenden »Tiertrilogie« erzählen die Brüder Ramon und Silvan Zürcher von einem Haus im ländlichen Idyll und den alles andere als idyllischen Verhältnissen im Innern
Nach den völlig zu Recht gefeierten »Das merkwürdige Kätzchen« und »Das Mädchen und die Spinne« nun also »Der Spatz im Kamin«. Vielleicht mehr noch als die beiden Vorgänger könnte der dritte lange Film der Schweizer Brüder Ramon und Silvan Zürcher auch aus der Perspektive der darin vorkommenden Tiere erzählt werden. Es sind viele, und sie erscheinen wie Bestandteile einer die Menschen begleitenden und stumm kommentierenden Parallelwelt: neben dem Spatzen des Titels etwa zwei Hunde, eine Katze und jede Menge Schmetterlinge, eine Ratte, Glühwürmchen, Kormorane und eine Seescheide im Mini-Aquarium. Mehrere kommen unsanft zu Tode, etwa ein Huhn, das, gerade enthauptet, kopflos und blutend noch ein paar Meter durch die Gegend flattert, bevor es endlich tot vom Himmel fällt. »So sehen bei uns die Engel aus«, kommentiert das die Tochter des Hauses – und das ist nur einer von vielen Ausschlägen eines ziemlich robusten Humors.
Trotz der sonnendurchfluteten Bilder und kräftigen Farben erzählt der abermals über weite Strecken als Kammerspiel angelegte Film von tiefen Beklemmungen, von in die Seelen eingefressenen familiären Konflikten und dunklen Geheimnissen – doch auch von der Möglichkeit der Befreiung. Im Mittelpunkt steht ein Dreigestirn äußerst unterschiedlicher Frauen, die anlässlich eines Geburtstagsfests in dem Haus irgendwo inmitten prächtiger Natur zusammenkommen: Da ist die stets angespannte, herrische Karen (Maren Eggert), die mit ihrem Mann Markus (Andreas Döhler) und ihren gemeinsamen Kindern im Haus der verstorbenen Eltern lebt. Ihre lockere und lustvoll aufmüpfige Schwester Jule (Britta Hammelstein) reist mit Ehemann Jurek (Milian Zerzawy) und Kindern an. Außerdem ist da die Nachbarin Liv (Luise Heyer), die in einem kleinen (Hexen?-)Haus am Waldrand wohnt, in Sichtweite, und die sich auffällig gut mit Markus versteht.
Vor allem um diese drei Figuren, die jedoch alle anderen in ihre Konflikte hineinziehen, entwickelt sich eine spannungsreiche Dynamik um alte Traumata und neue Machtspiele, unterfüttert mit erotischen Motiven. Inszeniert ist das in jenen fein ziselierten, vieldeutigen Choreografien der Blicke, Gesten und Worte sowie dem Augenmerk auf merkwürdige Details, mit denen die beiden DFFB-Absolventen schon vom Erstling an mit beeindruckender Konsequenz ihre vollkommen eigenständige filmische Welt erschufen. Eine Welt mit sehr genauem Blick auf Zwischen-menschliches, vor allem das Unausgesprochene, dabei aber immer auch nah am Märchenhaften und Mystischen – als hätte die Berliner Schule nur ein klein wenig Magic Mushrooms genascht.
Das Casting des familiären Kosmos von »Der Spatz im Kamin« ist perfekt, insbesondere Maren Eggert verleiht der eigentlich so biestigen Karen mit Weichheit und Verletzlichkeit eine Ambivalenz, die das Interesse an der Figur wachhält – und mit einer überraschenden Entwicklung auch belohnt. Die giftige Atmosphäre, die vor allem von ihr ausgeht, drückt sich anfangs eher in bissigen Dialogen aus, doch im Lauf der Geschichte werden die Irritationen zahlreicher, sanft und schleichend eskaliert die Situation – und der Film überrascht mit einem Mut zu Blut, Drastik und Phantasmagorie, der dem Zürcher-Kosmos noch einmal eine ganz neue Note verleiht. Für ihre »Tiertrilogie« ist der Spatz eine wunderbare Krönung, für alles Kommende der Brüder eine Verheißung.
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