Kritik zu Das merkwürdige Kätzchen
Audiovisuelle Skulptur oder Geheimtipp? Ramon Zürcher legt mit seinem Familien-Horror-Film ein auf vielen Ebenen beglückendes Debütstück von der Berliner Filmhochschule vor
Das titelgebende Tier tritt gleich in der zweiten Einstellung auf, wo es maunzend an einer geschlossenen Zimmertür herumkratzt. Nur das Diminutiv passt beim besten Willen nicht, denn es ist ein ausgewachsenes, schön orange getigertes Exemplar von Katze. Und die gibt sich – wie ein gelegentlich durchs Bild streifender und aus dem Off bellender – dunkler Hund auch kein bisschen merkwürdig, sondern für ein Filmtier eher auffällig artgerecht. Das lässt uns Zuschauer schnell aufmerken. Und den Blick auf die Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts richten, die sich im Lauf des Films in zunehmender Zahl in der gleichen Berliner (wobei der Ort nichts zur Sache tut) Altbauwohnung tummeln und mit scheinbar alltäglichen Verrichtungen einen wirklich merkwürdigen poetisch aufgeladenen Raum eröffnen.
Dabei ist der Plot erfrischend minimalistisch, Schauspielerführung, Mise en Scène und Montage aber sind umso sorgfältiger realisiert: Es ist ein ganz normaler Tag einer erstaunlich großen Familie mit einigem Anhang, der sich von einer privaten Waschmaschinenreparatur bis zum Abendessen mit Gästen erstreckt. Dazwischen Routinen von Begrüßungen, Tellergeräume und innerfamiliäre Wortwechsel, in deren Verlauf alle Beteiligten hartnäckig am Eigentlichen sowie aneinander vorbeireden und -handeln. Ja, zwischen Espressoautomat, Holztisch und Ikea-Regal blüht neben viel surrealem Unsinn auch eine mehr als latente Gewalt, obwohl wirklich laute Wort nie fallen. Fies sind diese Menschen trotzdem, und ihre Meisterin ist Jenny Schily als vieldeutig lächelnde mysteriöse Mutter-Herrscherin über das kleine Küchenreich. Denn die Rollenzuteilungen setzen auch hier klare Grenzen: Wenn die Jungs an der Waschmaschine werkeln, steht Mama mit Kaffee und Saft bereit.
Regisseur Ramon Zürcher spielt für einen Noch-Filmstudenten überraschend souverän mit dem Inventar und den Erwartungen des konventionellen Kinos und hält die Zuschauer auf höchst unterhaltsame Weise mit einer Informationspolitik kurz, die den Spielort Wohnung im Prinzip auf einen langen Flur und die Küche als Zentrum des Geschehens beschränkt: Orte, wo er die Personen in zunehmend tiefer gestaffelten und dichter angelegten Choreographien vor der statischen Kamera stapelt. Wuselig eng ist das oft, klaustrophobisch wird es dank kurzer Ausflüge nach draußen nie.
Als »audiovisuelle Skulptur« hat Zürcher seinen Film selbst bezeichnet. Das passt, weil der Film mit seinen vielen Zentren fast kubistisch angelegt zu sein scheint und mit der Befreiung von dramaturgischen Konventionen erfrischende künstlerische Freiheit und immer wieder neue Betrachtungsmöglichkeiten gewährt. Und auch das von der kalifornischen Rocktruppe »Thee More Shallows« komponierte und wiederholt strukturierend eingespielte kammermusikalische Motiv unterstreicht den skulpturalen Charakter. Dabei wäre es aber falsch, »Das merkwürdige Kätzchen« nur als luftig amüsante und eher abstrakt-formale komödiantische Spielerei zu verstehen. Dafür gibt es doch zu viel höchst bittere familienkritische Substanz.
Ein Jahr sind die Brüder Ramon und Silvan Zürcher jetzt schon auf Festivalreise mit ihrem überraschend erfolgreichen Film. Fast eine Vollzeitbeschäftigung. Doch dieser Erfolg ist auch eine Last, die fast zu schwer für dieses nur 72 Minuten lange kleine Filmglück ist: Als »der« Geheimtipp der letzten Berlinale wurde »Das merkwürdige Kätzchen« zeitweise gehandelt, als »Wunder von einem Film«. Ja, sogar »Hollywood Reporter« und »New York Times« schwärmten nach der Premiere im letztjährigen Berlinale-Forum. Schwierig für einen Film, der eigentlich am besten im Geheimtipp-Modus funktioniert. So würde man ihn jetzt am liebsten wieder ganz klein machen und irgendwo verstecken, damit andere ihn für sich neu entdecken können. Denn eigentlich war das ganze Kätzchen ja nur eine filmische Seminararbeit an der Berliner Film- und Fernsehakademie, wo Ramon Zürcher Filmregie und sein Bruder Silvan Produktion studieren. Hoffen wir also, dass der frühe Erfolg und die deutsche Filmausbildung und -förderung diese eigenwilligen jungen Talente nicht auf Kurs bringen.
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