Kritik zu Der Mauretanier
Kevin Macdonald (»The Last King of Scotland«) inszeniert den wahren Fall von Mohamedou Ould Slahi, den man 14 Jahre im Gefängnis von Guantanamo festhielt, ohne dass je Anklage erhoben wurde
Kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center wird in Mauretanien ein Mann von zwei einheimischen Polizisten aus einer Familienfeier geholt, für eine Befragung im Polzeirevier, heißt es. Von seiner Mutter verabschiedet er sich, als würde er gleich wieder zurückkommen, »Heb mir was von der Tajine auf«, sagt er noch zu ihr. Es sind die letzten Worte, die die beiden wechseln werden, denn danach wird Mohamedou Ould Slahi einige Monate in Jordanien festgehalten, später nach Afghanistan und schließlich nach Guantanamo verschleppt. Nach diesem kurzen Vorspiel klinkt sich der Film fünf Jahre später wieder ins Schicksal von Slahi ein, der immer noch ohne Anklage und ohne Beweise festgehalten wird. Der Militär-Staatsanwalt Stuart Couch (Benedict Cumberbatch) tritt an, um ein schnelles Todesurteil herbeizuführen. Angeblich soll Slahi in Deutschland die Terroristen von 9/11 rekrutiert haben. Verteidigt wird er pro bono von der Anwältin Nancy Hollander (Jodie Foster mit silbergrauem Haar und rotem Lippenstift), die vor allem den Rechtsstaat anklagt: »Die amerikanische Regierung hält mehr als 700 Gefangene in Guantanamo fest. Seit wann sperrt man in diesem Land Leute ohne Prozess ein?« Beim Versuch, die Ereignisse zu rekonstruieren, stoßen nicht nur die Verteidiger, auch die Ankläger auf zum Teil aberwitzige Widerstände. Tonnenweise Verhörprotokolle sind nahezu vollständig geschwärzt – angeblich eine Frage der nationalen Sicherheit.
»Der Mauretanier« ist ein Politthriller, der weder Geheimnisse aufdeckt noch eine wirklich neue Geschichte erzählt. Und doch geht es um mehr als nur die Rekonstruktion eines Falls. Es geht auch um menschliche Widerstandskraft, um Demut und Vergebung angesichts von Ereignissen, die selbst der hartgesottenen Anwältin die Tränen in die Augen treiben.
Der schottische Regisseur Kevin Macdonald ist ein Grenzgänger zwischen Dokumentation und Fiktion, mit einem besonderen Interesse für brisante politische Konstellationen. »The Last King of Scotland« erzählte von einem jungen britischen Arzt und seinen Verstrickungen mit der Macht des Diktators Idi Amin, »State of Play« war ein Verschwörungsthriller um zwei Reporter, die sich durch den Korruptionssumpf der Politik wühlten. Und für seine Dokumentation »One Day in September« über die Anschläge auf die israelischen Sportler der Olympiade von 1972 bekam er einen Oscar. Der dokumentarische Blick prägt auch seine Spielfilme, in denen er weniger fordernd inszeniert als geduldig beobachtet. Nur gelegentlich gibt es alptraumhaft aufblitzende Splitter von Erinnerungen an die Foltererlebnisse und klaustrophobische Verengungen des Bildformats. Das heißt auch, dass hier die großartigen Schauspieler zum Special Effect eines ansonsten weitgehend ruhig erzählten Thrillers werden. Neben Stars wie Jodie Foster, Benedict Cumberbatch und Shailene Woodley gilt das insbesondere für Tahar Rahim, der mit seiner zurückhaltenden Intensität die Würde des Titelhelden auch noch in den würdelosesten Momenten bewahrt.
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