Kritik zu Das Zimmermädchen Lynn
Ingo Haebs Verfilmung einer Erzählung von Markus Orths zeichnet das Porträt einer obsessiven jungen Frau, die in keine Schublade passt
Lynn ist eine Putzfrau mit Putzfimmel. Als Zimmermädchen schrubbt und reinigt sie mit kaum zu übertreffender Perfektion. Sogar den Spülrand des Wasserklosetts inspiziert sie mit einem Zahnarztspiegel. Frauen mit solchen Obsessionen gibt es. Doch bei Lynn ist man zunächst irritiert, sie ist eine eher literarische Figur. Sie entstammt Markus Orths’ Roman von 2008. Der Autor erzählt von einer labilen 30-Jährigen, die nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie ihren alten Job im Hotel wieder annimmt. Abweichend von der Vorlage hat Ingo Haeb (Buch und Regie) die zuweilen etwas redseligen Reflexionen über die psychischen Probleme der Protagonistin zum Schweigen gebracht. Warum sie in der Klinik war, fragt eine Kollegin. »Das ist meine Sache«, sagt Lynn. Im Film erfährt man nicht viel über diese Frau, die isoliert lebt und zu Männern ein instrumentelles Verhältnis hat.
Diese Reduktion erzeugt Raum zur Beobachtung. Sorgfältig komponierte Bilder zeigen Lynns Arbeitsalltag in einem Hotel irgendwo am Meer. Die Luxemburgerin Vicky Krieps, ein unverbrauchtes Gesicht, hält sich angenehm zurück. Man hat das Gefühl, dass ihr zum »Schauspielen« im konventionellen Sinn keine Zeit bleibt, weil sie permanent putzen muss. Zwischendurch schaut sie alte Filme und erzählt ihrem Therapeuten Banalitäten. Das Verhältnis zu ihrer Mutter (Christine Schorn) ist distanziert. Nur wenn beide übers Putzen fachsimpeln, entsteht plötzlich – ein wirklich komischer Moment – eine gewisse Nähe.
Die lakonisch-beiläufige Erzählweise zieht den Zuschauer in den Bann. Gespannt verfolgt man, dass Lynn eine Getriebene und ihr Job nur Mittel zum Zweck ist. Akribisch wie sie putzt, schnüffelt sie in den Utensilien abwesender Hotelgäste. Die prickelnde Gefahr, überrascht zu werden, wenn sie in deren Kleider schlüpft, verschafft ihr einen wollüstigen Kick. Zum ersten Mal huscht ein befriedigtes Lächeln über das Gesicht der depressiven Außenseiterin. Einmal überspannt sie den Bogen und muss unters Bett flüchten – von wo aus sich eine ganz neue Perspektive eröffnet. Der voyeuristische Blick auf die phallischen Stöckel einer Domina, die einen Hotelgast peitscht, fasziniert Lynn. Sie knüpft eine – bezahlte – Beziehung zu dieser Prostituierten, die sensibel beobachtet wird und auf spannende Weise offen bleibt. Sexuelle Identitäten changieren. In einigen Momenten fühlt man sich an François Ozon erinnert, und Lena Lauzemis als cooles Callgirl könnte eine Transe aus einem Almodóvar-Film sein.
Ingo Haeb gelingt eine unaufgeregte, zarte Gendergeschichte mit liebevoller Nähe zu den Figuren. Man fragt sich nur, warum Lynn für ihr abseitiges Begehren und ihre Liebe zum Schmutz mit einem Bein in der Psychiatrie stehen soll. Für diese Unstimmigkeit entschädigt das poetische Schlussbild, in dem Lynn ihre Mutter besucht und sich dabei überraschend ein Kreis schließt. Wer diesen Film mag, wird beim nächsten Hotelbesuch garantiert erst einmal unters Bett schauen.
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