Kritik zu Das letzte Geschenk
Ein eigensinniger Holocaust-Überlebender begibt sich auf eine beschwerliche Europa-Reise, um eine alte Verabredung einzuhalten. Pablo Solarz macht aus einem Roadmovie einen Film über die vielfältigen Wege der Geschchtsverarbeitung
Abraham Bursztein (Miguel Ángel Solá), ein aus Polen stammender Jude, der seit vielen Jahrzehnten in der argentinischen Diaspora lebt, ist ein Sturkopf wie er im Buche steht. Eine betrübliche Tatsache jedoch muss auch der beinahe 90-Jährige akzeptieren. Mit mühsam verborgener Ungeduld warten seine erwachsenen Kinder und Enkelkinder darauf, dass der alte Sonderling endlich sein Haus räumt und ein Zimmer im Pflegeheim bezieht. Beim Zusammensuchen jener Sachen, die er in sein letztes Zuhause mitnehmen wird, stößt Abraham auf einen selbst geschneiderten Anzug, der ihn daran erinnert, dass noch etwas Wichtiges zu erledigen ist. Ohne jemandem Bescheid zu geben, steigt der ältere Herr in ein Taxi. Kurz darauf sitzt er im Flieger nach Europa.
Der Einstieg mag ein wenig erinnern an den »Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand«. Pablo Solarz geht es aber nicht so sehr um den Blues des alten Mannes. Der Regisseur und Drehbuchautor, Jahrgang 1969, stammt aus einer Familie jüdischer Emigranten. Mit seiner zweiten Regiearbeit greift er ein Thema auf, das in seiner Familie mehr oder weniger verschwiegen wurde.
Sein Film macht spürbar, warum man über manche Dinge nicht so leicht reden kann. Deutlich wird dies in einem punktgenauen Dialog mit dem Beamten der spanischen Einwanderungsbehörde. Warum nur hat der kauzige Senior Bursztein kein Rückflugticket? Eine »seltsame Geschichte« sei das. Geschichte im Sinn des filmischen Plots koinzidiert dabei allmählich mit Geschichte im Sinne von Historie. Der beschwerliche Weg durch Europa, den der hinkende Mann zurücklegen muss, erweist sich selbst als das Ziel: die Erinnerung an den Holocaust.
Auf dem Weg nach Lodz, wo er einem Freund, dem er sein Leben verdankt, einen versprochenen Anzug überreichen will, muss Abraham sich mit sehr unterschiedlichen Frauen auseinandersetzen. So wird er in Madrid erst einmal zusammengefaltet von einer ruppigen Hotelbesitzerin. Maria, von Ángela Molina gespielt wie eine Figur aus einem Almodóvar-Film, kann es nicht ab, dass dieser betagte Womanizer sie übers Ohr hauen will: Die Themen Geld und Geschäft grundieren diesen Film wie unterschwellige Moll-Akkorde. Nein, ein Holocaustüberlebender muss nicht nur sympathisch sein.
In Paris stellt sich schließlich ein schier unüberwindliches Problem: Wie kommt Abraham, dem das Geld fürs Flugticket geklaut wurde, mit dem Zug nach Polen – ohne einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen? Eine hilfsbereite, junge deutsche Anthropologin baut ihm beim Umsteigen in Berlin eine Brücke aus Kleidern. Abraham muss den Bahnsteig tatsächlich nicht mit den Schuhen berühren: Das auf den ersten Blick rührende filmisches Bild ist jedoch eine allzu wörtlich genommene Metapher, die bei genauerem Hinsehen eher verstört. Mit ihrem infantilen Dresscode verkörpert Ingrid, gespielt von Lindenstraße-Darstellerin Julia Beerhold, die übergriffige Empathie einer zweischneidigen Erinnerungskultur. Solarz gelingt hier ein ebenso beiläufiger wie aufschlussreicher Blick in die deutsche Seele.
Das vermeintliche Happyend erscheint zunächst arg gefühlsbetont. Erst später begreift man, dass der überbrachte Anzug ein McGuffin ist. Eigentlich geht es um Abrahams Bein, das die Nazis ihm seinerzeit kaputt geschlagen haben. Ärzte wollten es immer wieder abnehmen – als ob man dadurch Historie amputiert. Abraham musste auf diesem lebenslang schmerzenden Bein, dem er sogar einen eigenen Namen gab, zurück in die Vergangenheit hinken: Ein kraftvolles Bild, um das herum Solarz eine vielschichtigen Rückbesinnung inszenierte. Die vielen verschiedenen Stimmungen auf dieser Reise quer durch Europa werden dabei als Formen der Geschichtsverarbeitung lesbar. Der vorwiegend in Argentinien bekannte Miguel Ángel Solá setzt in der Hauptrolle immer wieder Glanzlichter.
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