Kritik zu Censor

englisch © Magnolia Pictures

Als die Bilder noch den Schrecken lehrten: Regisseurin Prano Bailey-Bond bewegt sich mit ihrem Regiedebüt auf den Spuren von David Cronenberg

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Ein Schrei des Entsetzens gellt aus dem Mund der Frau. Ihre ängstlichen Augen sind weit aufgerissen. Der Killer sticht zu, Blut spritzt, und die Kettensäge gräbt sich durch Menschenfleisch. Anfang der 80er Jahre, als mit dem Videorekorder plötzlich ein alternatives Medium zur Verfügung stand, waren solche Bilder sehr beliebt. Politiker und Pädagogen waren nicht amüsiert. Die Presse stilisierte Gewaltfilme zum Untergang des Abendlandes: »Horrorvideo – Blutrausch im Kinderzimmer«, titelte »Der Spiegel« im März 1984.

In der Folge wurde das Jugendschutzgesetz verschärft und Videos strengstens kontrolliert. Die Debatte um jene Gewaltfilme, die angeblich zur Nachahmung reizen würden, wurde ähnlich hysterisch auch in England geführt. Dieses Thema greift die walisische Regisseurin Prano Bailey-Bond auf, die vom Branchenmagazin »Variety« unter den »10 Directors to Watch« des Jahres 2021 rubriziert wurde.

Ihr Langfilmdebüt ist eine Hommage an das krude Splatter-Genre der 70er und 80er Jahre. Die Perspektive auf diese Blutorgien ist jedoch gebrochen durch den Blick der graumäusigen Prüferin Enid Baines (Niamh Algar), die für das British Board Of Classification (BBFC) arbeitet. Jeder noch so kleine Schmuddelfilm wird hier akribisch gesichtet und mit Kollegen diskutiert. Als ein Frauenmörder sich offenbar von einem jener Horrorfilme inspirieren ließ, den Enid nicht rigoros genug zensierte, gerät die Prüferin in den Fokus der Klatschpresse.

Auf den Spuren von David Cronenbergs »Videodrome« und dem Snuff-Mythos, gemäß dem es unter dem Ladentisch Filme gäbe, in denen real gemordet wird, finden Bailey-Bond und ihr Co-Autor Anthony Fletcher einen erfrischend neuen Ansatz. Der Film besticht zunächst dank seiner suggestiven Atmosphäre. Die Ausstattung der Büros ist stimmig bis hin zum letzten Bleistiftspitzer. Dabei adaptiert die Kamera­arbeit akribisch den Look jener Videos aus den 80ern, deren Farbgebung auf den Fernsehschirmen schmutzig, matt und fahl wirkte.

Als die Prüferin in einem jener Machwerke, die ihr vorgelegt werden, ihre vor zehn Jahren verschwundene Schwester wiederzuerkennen glaubt, verschwimmt allmählich die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Diese Story, so war zu lesen, sei am Ende langatmig. Die Regisseurin würde zu wenig aus ihrer interessanten Grundidee machen. Doch diese Kritik wird ihrem stilsicheren Debüt in keiner Weise gerecht. »Censor« ist kein Film für Nerds. Entsprechend verkörpert die überzeugende irische Darstellerin Niamh Algar auch nicht jene passive Scream Queen, an der wie üblich eine surreale Tötungsfantasie durchexerziert wird. Die Frau wird stattdessen zum Motor der Handlung. Damit bürstet der um zwei Ecken gedachte Plot dieses impressionistischen Horrorfilms das Splatter-Genre gegen den Strich. Das Inzestthema, das dabei wie Fetzen aus einem falschen Film aufblitzt, lässt den Betrachter dieser knackig kurzen Stilübung verstört zurück. Ein atemberaubend düsteres Kunstwerk.

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