Kritik zu Café Olympique – Ein Geburtstag in Marseille
In seinem 18. Film durchforstet Robert Guédiguian (Marius und Jeanette) sein bisheriges Werk wie einen Märchenwald und beschreitet sacht neue Wege
Er dreht umgängliche Filme. Sie sind durchdrungen von seinen politischen Überzeugungen; ihre soziale Erregbarkeit ist jedoch aufgehoben in einer mediterranen Gelassenheit, die sie nicht kompromittiert. Robert Guédiguian konstruiert seine Geschichten um die Idee der Geselligkeit, in der sich Klassenstolz und Solidarität erfüllen können. Von seinen Zuschauern verlangt er nicht viel mehr, als die alten Utopien nicht ganz aufzugeben.
Auch sein jüngstes Werk ist eine Aufforderung zum Träumen. Die Arbeitswelt bleibt diesmal weitgehend im Hintergrund, die erzählerische Triebfeder ist nicht wirtschaftliche Not, sondern eine persönliche Enttäuschung. Ariane (Ariane Ascaride) erwartet zu ihrem Geburtstag Familie und Freunde, die jedoch sämtlich verhindert sind. Statt Trübsal zu blasen, bricht sie auf nach Marseille. Im Verkehrsstau lernt sie einen jungen Mann kennen, der sie auf dem Sozius seiner Vespa an einen fabelhaften Ort mitzunehmen verspricht; tatsächlich arbeitet er als Schlepper eines Restaurants für ältere Touristen, das »Café Olympique«. Dort trifft sie auf eine Gemeinschaft skurriler Typen. Zunächst stoßen ihr lauter Missgeschicke zu. Der argwöhnische Zuschauer glaubt schon, hier sei eine wohlmeinende Verschwörung wie in David Finchers The Game am Werk. Hinfort kann sie sich aus dem Bannkreis des Cafés nicht mehr lösen, in dem unablässig Chansons von Jean Ferrat laufen, deren volkstümliche Sozialkritik eine wunderbare Losung für Guédiguians Kino ist.
Gegenüber seinen früheren Filmen nimmt er jedoch einen Perspektivenwechsel vor. Ariane ist eine Außenseiterin, die in sein filmisches Ideal von Gemeinschaft initiiert werden muss. Ihre eigentliche Welt, so führt der an die Computeranimation eines Architekturbüros erinnernde Anfang vor Augen, wirkt modern und steril. Café Olympique ist eine wundersam ellipsenreich erzählte Bewährungsprobe, die sich nicht entscheiden mag, ob sie ein Märchen (das traditionell Rat spendet) oder eine Fabel (die stets mit einer Moral endet) ist. In einer sprechenden Schildkröte findet Ariane eine verlässliche Gefährtin. Alsbald befreit die Truppe Tierpräparate aus dem Naturkundemuseum, erleidet Schiffbruch und erwacht auf einer Insel. Wie im Traum bewegt sie sich mühelos von einem Ort zum anderen. An ihr Zuhause verschwendet sie keinen Gedanken mehr.
Das Flair von Verzauberung und Spontaneität wirkt ein wenig forciert. Die Leichtfüßigkeit dieser filmischen Zerstreuung ist eine Behauptung, die Guédiguians bewährtes Darstellerensemble (darunter der ruppig joviale Gérard Meylan und der vielseitige Jean-Pierre Darroussin) mit einiger Mühe beglaubigt. In die Galerie liebenswürdiger Charaktere hätte sich durchaus ein Moment ironischer Brechung einschleichen dürfen. Aber Guédiguians Warmherzigkeit ist unerbittlich. Am besten nimmt man den Film als eine Familienfeier, zu der das Publikum herzlich eingeladen ist.
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