Kritik zu Avengers: Age of Ultron
Die Gruppe der Rächer um Iron Man, Thor und Captain America hat ihre Teambuilding-Phase hinter sich und wirkt gut eingegroovt. Im neuen Film muss sie einen von Iron Man erschaffenen Kampfandroiden einfangen. Das wäre sicher leichter, wenn das Programm von Ultron keinen Zugriff aufs Internet hätte
Comicgeschichten hören sich blöd an, wenn man sie nacherzählt, und die von Age of Ultron ganz besonders. Da ist dieser mörderische galaktische Irre. Der ist hinter ein paar magischen Juwelen her, von denen einer durch die Aktivitäten eines anderen galaktischen Irren auf die Erde gelangt ist. Mit Hilfe der fremdartigen Software, die in dem funkelnden Stein steckt, baut ein mental auch nicht ganz stabiler Milliardär, Playboy und Erfinder einen Superandroiden, der die Menschheit vor allen Irren des Kosmos beschützen soll, sich aber als der Durchgeknallteste von allen entpuppt und... Sind Sie noch da?
Die frühen Filme des »Marvel Cinematic Universe«, um Iron Man, Thor und Captain America, hatten relativ schlichte Motive aus der Steinzeit der Marvel-Comics aufgenommen – wie kamen die Helden zu ihrem Job? – und waren für Nichteingeweihte ganz gut zu verstehen. Inzwischen aber ist das Franchise in der Moderne angekommen. Die Avengers-Filme beruhen auf einem Story-Arc aus den 90er Jahren, der sich im Hintergrund der Marvel-Produktionen schon lange aufbaut, und der Autor und Regisseur Joss Whedon tut wenig, um die sich verdichtenden Materialschichten für Nichtfans aufzubrechen. Keine auffälligen zeitgenössischen Politanspielungen, kein shakespearisches Familiendrama stören in Age of Ultron die fast schon abstrakte Form: Das hier ist purer Comicfilm, der feuchte Traum eines Geeks.
Was nicht bedeutet, dass es nichts zu sagen hätte. Es ist nur einfach so, dass der Superheld die bildungsbürgerliche Vorstellung von sinnstiftendem Erzählen hinter sich gelassen hat. Der amerikanische Romancier und Comicfan Michael Chabon hat die geheimnisvolle Doppelexistenz des kostümierten Helden einmal als eine Form von Travestie, als Geschichte der Transformation selbst beschrieben. Demnach kann das Superheldentum gar kein geschlossenes Konzept sein, keine konventionellen Geschichten erzeugen; es ist eher so etwas wie eine Struktur, eine Formel, nach der sich die Welt und unser Wissen darüber immer wieder neu sortieren – wie die ungeheuer beweglichen Moleküle im Körper des Hulk oder eben das Programm des außeridischen Juwels, das Tony Stark mit seinem eigenen K.I.-System, dem seelenvollen elektronischen Butler J.A.R.V.I.S, verschmilzt.
Strukturen bildet man am besten, wenn man nicht allein ist, und deshalb machen die Kollektivgeschichten von Marvel den meisten Spaß. Whedon bewahrt in Ultron das WG-Feeling, das Fans an den Avengers schätzen, und bleibt dennoch immer in Bewegung. Neue Charaktere kommen ins Spiel, alte enthüllen unbekannte Seiten, orientieren sich um und geraten in Konflikte, mit denen sie in den für 2018 und '19 geplanten Sequels sicher noch zu kämpfen haben werden. Das alles in einem sehr flotten Wechsel zwischen Gefühligkeit und Action.
Dazu passt, dass Joss Whedon, vielleicht als Erster, eine echte kinematografische Entsprechung für die experimentelle Visualität, die Geometrie der Comics mit ihren inzwischen praktisch explodierten, ineinandergeschobenen, extrem zugespitzten Bildkadern gefunden hat. Das auf Dauer unübersichtliche Split-Screen-Verfahren kann nicht die Lösung sein – Whedon verlegt die Comicgrafik in die einzelne Einstellung. Die Tiefe des 3D-Bilds nutzt er, um Architekturelemente – Mauern, Pfeiler, Glaswände – oder auch die aus den Iron Man-Filmen bekannten schwebenden Computer-Interfaces zu staffeln, zu verschachteln und zu verkanten. In diese Räume fliegen und stürzen die Figuren, gefolgt von einer geschmeidigen Kamera, die die Illusion eines reinen, körper- und subjektlosen Blicks erzeugt – als wäre der Zuschauer selbst eine künstliche Intelligenz, eine Software, die in jedem Moment Zugriff auf sämtliche Programme im Cyberspace hat. Das ist verrückt, kindisch und sehr unterhaltend. Auf seine Art eine »Vision«.
Kommentare
"als wäre der Zuschauer selbst eine künstliche Intelligenz"
Danke für eine Kritik, die den Akzent auf das Wesentliche legt, auf die Poiente, dass der Film auf der Diskursebene vollzieht, wovon er spricht. Das machte ihn dann zu einem postmodernen Kunstwerk. Vielleicht ist aber auch die Kritik besser als der Film.
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