Kritik zu Atmen
Das preisgekrönte Regiedebüt des Schauspielers Karl Markovics (»Stockinger«, Die Fälscher) erzählt von einem jugendlichen Straftäter, der aus der Jugendhaft allmählich zurück ins L eben findet
Die erste Einstellung zeigt eine einsame Landstraße, die mitten ins Nirgendwo zu führen scheint; der graublaue Asphalt ist´übersät von Teerflicken – eine Strecke, so verlassen und vernarbt wie die Seele des jungen Protagonisten, der in gleichmäßigem Schritt am Straßenrand entlangmarschiert. Die Kapuze seiner Jacke hat er tief in die Stirn gezogen, den Rücken der Kamera und dem Zuschauer zugewandt. Nicht einmal, als ein entgegenkommendes Auto wendet, um ihn mitzunehmen, zeigt er eine Änderung seines Habitus: kein Gruß, nur ein abruptes Stoppen und ein stummes Öffnen der Beifahrertür.
Allein diese kurze Szene ist in ihrer unspektakulären Symbolik und ihrer Etablierung einer Grundstimmung von bemerkenswerter Souveränität. Man würde dahinter eigentlich einen Regiealtmeister vermuten, tatsächlich aber handelt es sich bei Atmen um das Regiedebüt des Schauspielers Karl Markovics. Verkörpert er bei anderen häufig schlitzohrigeund unstete Charaktere, kann man hier nur staunen, mit welch ruhiger und sicherer Hand er seine Geschichte erzählt.
Im Mittelpunkt steht der 19-jährige Delinquent Roman. Nach der Tötung eines Gleichaltrigen verbüßt er eine fünfjährige Haftstrafe. Sein zweiter Bewährungsantrag steht kurz vor der Entscheidung, auf Drängen seines Bewährungshelfers nutzt er seine Freigänge, um sich einen festen Job zu suchen. Wie eine bewusste Provokation wirkt es zunächst, als der stoisch und lustlos wirkende Teenager sich ausgerechnet bei einem Bestattungsunternehmen bewirbt.
Knast und Leichenhaus, das sind die atmosphärischen Koordinaten, zwischen denen die Erzählung sich bewegt und die den Titel Atmen fast ironisch wirken lassen: Hier werden die Menschen eingeschlossen, dort werden sie eingesargt. Markovics ist gleichwohl zu intelligent, um diese Spielorte lediglich für einen morbiden Gag zu nutzen. Mit dokumentarisch anmutendem Gestus beobachtet er die Rituale dieser streng reglementierten Welten, in denen wenig gesprochen wird und wo jeder Handgriff sitzen muss. So weitet sein Film sich ganz nebenbei vom Porträt eines jungen Straftäters zum Einblick vor allem in den fremden Kosmos der Bestatter.
Auf Grund seines »Sozialrealismus« wurde Atmen immer wieder mit den Arbeiten der Dardenne-Brüder verglichen, die trostlose Stimmung und der kühle Blick auf soziale Gefüge erinnern zudem an die Filme anderer zeitgenössischer österreichischer Regisseure. Doch während die Dardennes oder auch Ulrich Seidl ihre Dramatik in erster Linie aus der Darstellung sozialer Abstiege und sich steigernden Elends ziehen, geht Markovics den entgegengesetzten Weg. Er erzählt von einem jungen Mann ohne jede Perspektive, der allmählich den Weg in die Gesellschaft findet. Roman, vom Kinderheim direkt ins Gefängnis gegangen, lernt Schritt für Schritt zu »atmen«, wobei seine innere Entwicklung sich fast ausschließlich im bemerkenswert nuancierten Mienenspiel des Hauptdarstellers zeigt. Auch dieser Regiekniff sitzt: wer sein Leben lang nur Befehle, Strafen und Demütigungen zu hören bekam, verlernt irgendwann, Sprache als soziales Instrument zu begreifen.
Immer wieder finden Markovics und sein Kameramann Martin Gschlacht (Slumming) bestechende Bilder für die Situation ihres Protagonisten. Wie verloren wirkt er beim Besuch einer Ikea-Filiale, diesem Inbegriff kleinbürgerlicher »Wohnträume«; das Binden einer Krawatte wird zum Sinnbild einer menschlichen Annäherung und zugleich zum Symbol für einen Schritt aus dem sozialen Abseits.
Immer wieder finden Markovics und sein Kameramann Martin Gschlacht (Slumming) bestechende Bilder für die Situation ihres Protagonisten. Wie verloren wirkt er beim Besuch einer Ikea-Filiale, diesem Inbegriff kleinbürgerlicher »Wohnträume«; das Binden einer Krawatte wird zum Sinnbild einer menschlichen Annäherung und zugleich zum Symbol für einen Schritt aus dem sozialen Abseits.
Markovics’ Blick beschränkt sich allerdings nicht auf die Hauptfigur. Romans abweisende Mutter, der zynische Mitarbeiter im Bestattungsinstitut (hervorragend: Georg Friedrich) oder der entnervte Bewährungshelfer sind von einer emotionalen Härte, die dem Straftäter ironischerweise völlig abgeht. Und erst dank Romans stummer Beharrlichkeit überwinden sie schließlich ihre gesellschaftlich konditionierte Feindseligkeit, zeigen eine unerwartete Sensibilität. Markovics kontert modischen Nihilismus mit Humanismus. Dazu gehört aber auch, dass bezeichnenderweise allein die Vertreter staatlicher Macht (ein´Streifenpolizist, ein Gefängniswärter) bis zum Schluss nichts von ihrer frustrierten Aggressivität verlieren.
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