Kritik zu Anne Clark – I'll Walk Out Into Tomorrow
Porträt der Pop- und Wortkünstlerin Anne Clark, die der Filmemacher Claus Withopf über zehn Jahre hinweg begleitete
Mit dem Lied »Sleeper in Metropolis« war nach Punk und New Wave 1984 plötzlich eine neue Stimme da. Rau klang sie, jenseits der Schönheit des poetischen Gesangs und doch irgendwie lyrisch. Metallisch, rhythmisch und vor allem nicht gesungen, sondern gesprochen zu synthetischen, elektronischen Klängen. Diese Art des Vortrags, jene Spoken Poetry, gab es in der Popmusik davor eher selten. Allenfalls in den USA, wo Laurie Anderson mit Synthesizer und Stimme experimentierte und dazu auf einer gläsernen Geige spielte. Mit Anne Clark hatte die Amerikanerin Laurie Anderson ihr englisches Gegenüber gefunden.
22 war Anne Clark damals. Der plötzliche Erfolg brachte ihr einen ungeahnten Geldsegen, aber nicht nur ihr. Management, Plattenfirma und andere hielten die Hand auf. Nach einer großen Tournee, für die reichlich Equipment angeschafft wurde, musste sie feststellen, dass ihr Manager mit allen Einnahmen verschwunden war und ihr die Schulden hinterlassen hatte. Als sie der Plattenfirma mit einem Anwalt drohte, sagte man ihr: »Dann wirst du in diesem Bereich nie wieder arbeiten!« Das war 1987, und Anne Clark zog sich zurück, ging nach Norwegen, um zu schreiben und sich neu zu erfinden.
Doch die Musik ließ sie nicht los. Immer wieder versammelte sie Musiker um sich, die ihr Klänge nahebrachten. Diese machte sie sich zu eigen und verband sie mit ihren Gedichten. Als Mischung aus Klassik, Pop und Folk entsteht der Anne-Clark-Sound, der im Voraus nie bestimmbar, aber immer typisch ist. Anne Clark mag die Improvisation in der Musik, ihr Gerüst ist das Wort. Oft sind es die ersten Aufnahmen, die bleiben. Vieles ist eben nicht wiederholbar. Ihre alten Hits jedoch nahm sie dann noch einmal auf.
Zehn Jahre begleitete der Filmemacher Claus Withopf Anne Clark, um 30 Jahre Schaffen im Wechsel popmusikalischer Moden zu dokumentieren. Er zeigt ihre Anfänge in den Nachwehen des Punk, ihre innovativen musikalischen Kompositionen, die davon profitierten. Bereits 2009 hatte er einen Konzertfilm gedreht, »Anne Clark Live«, und die Grand Dame der New Waves live im »Frankfurter Hof« in Mainz gezeigt. Er weiß tatsächlich, was er tut. Doch die intime Beziehung zur Künstlerin ist gleichzeitig das Manko des Films. Wo er atmosphärisch dicht die Texte typografisch aufscheinen lässt, wunderbare Naturaufnahmen findet, um die Songs zu bebildern und sich von den Studioaufnahmen zu entfernen, ist er auf der anderen Seite zu wenig informativ. Er erzählt uns nicht, wie sie aus den Schulden wieder rauskam, wovon sie in Norwegen lebte und wie sie ihre Musiker fand und immer noch findet. Er besucht ihr Elternhaus in Croydon mit ihr, lässt sie intime Details über ihr gewaltvolles Elternhaus erzählen, aber die musikalische Karriere bleibt lückenhaft. Withopf folgt dem ungeschriebenen Gesetz, dass ein Dokumentarfilm, zumal fürs Kino, sich auf die Aussagen seiner Protagonisten zu verlassen hat. Hier ist es einzig Anne Clark. Das macht es etwas schwierig, entstehende Lücken zu füllen. Da hätte ein erläuternder Offtext sicher mehr geholfen als geschadet.
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