Kritik zu Ad Astra – Zu den Sternen

© 20th Century Fox

»Es ist eine Zeit der Hoffnung und der Konflikte«, ist im Vorspann von James Grays erstem Science-Fiction-Film zu lesen. Der Regisseur ist bisher vor allem als Spezialist für familiäre Spannungen bekannt. Die Hoffnung entspringt in dieser skeptischen Zukunftsvision eher dem Wunsch des Studios

Bewertung: 4
Leserbewertung
2.5
2.5 (Stimmen: 2)

Roy McBride ist stolz darauf, dass sein Puls noch nie über 80 gestiegen ist. Dabei begibt er sich berufsbedingt regelmäßig in gefahrvolle Situationen. Er ist Astronaut, was im Kino und in der Realität eine Doppeldeutigkeit von Abenteuer und Wissenschaft besitzt. An seiner unbedingten Professionalität lassen die Worte, mit denen er sich eingangs vorstellt, keinen Zweifel. Deshalb ist »stolz« vielleicht das falsche Adjektiv; er spricht über seinen Pulsschlag mit nüchterner Genugtuung. 

Brad Pitts erster Auftritt als Roy ist ein kleines Kabinettstück filmischer Exposition: Der Ingenieur gibt Auskunft über sich, weil er sich einer turnusmäßigen psychologischen Bewertung unterziehen muss. Sie ist ein Ritual und hört sich an wie ein Schwur. Roys Bekenntnis endet nicht, als er die Prozedur abgeschlossen hat; sie gleitet hinüber in einen inneren Monolog, der unwissenschaftlich wird. Wenn er im Raumanzug seine Arbeit antritt, fühlt er sich wie ein Darsteller, der stets den Ausstieg im Blick hat. Draußen fühlt er sich behaglich; sein Helm schirmt ihn von der Welt ab. Sein Beharren auf dem niedrigen Puls ist eine Warnung. Zum einen legt es nahe, dass auch die Gegenwart seiner entfremdeten Frau (Liv Tyler muss sie eher als ein Schemen denn als eine eigenständige Figur spielen) dessen Schlag nicht erhöhen konnte und zum anderen, dass ihm bald Prüfungen bevorstehen, bei denen er seine Gelassenheit unwiderruflich verlieren wird. 

James Grays Film ist in einer nahen Zukunft angesiedelt, die der Gegenwart noch sehr ähnlich ist. Die Erde wird von Energiewellen getroffen, die verheerende elektrische Überspannungen auslösen. Ihre Ursache könnten Experimente mit Anti-Materie sein, die Roys verschollener Vater (Tommy Lee Jones) vor 16 Jahren auf einer Mission zum Neptun unternahm. Als der Sohn den Auftrag erhält, den Auslöser der Katastrophen zu finden, wird ihm von seinen Vorgesetzten eröffnet, dass sein Vater möglicherweise noch lebt. Auch Roys Mission ist zweideutig, sie folgt persönlichen und weltumspannenden Motiven. Diese Ambiguität vertraut Gray einer subjektiven Erzählper­spektive an, die auf Roys Wahrnehmung und Erleben konzentriert ist. Das ist zugleich eine ungewohnte Aufgabe für den Regisseur, der bislang mit intimen Melodramen auffiel, sich mit »Die versunkene Stadt Z« zuletzt jedoch wacker das Terrain des Abenteuerfilms erschloss. 

Der innere Monolog und die Stationen-Dramaturgie des Films lassen zwar rasch an »Apocalypse Now« denken: Roy steuert auf das Herz der Finsternis zu, wo er einen zivilisationsabtrünnigen Kurtz in Gestalt seines Vaters finden soll. Coppolas Film bzw. Conrads Roman sind Referenzen für »Ad Astra«, legen sich aber nicht als lähmende Schatten über ihn. Grays Inszenierung eignet eine schwebende Zielstrebigkeit, viele Sequenzen gewinnen die Anmutung eines Traums. Es ist zuweilen fast so, als würden die Geschehnisse einem anderen als Roy widerfahren. Roys Isolation ist ein auch Stilprinzip des Films, der seine Innenschau mit der physischen Realität der wechselnden Ambientes kollidieren lässt. Die Actionszenen brechen unerwartet in den Erzählfluss ein, Gray bereitet das Publikum nicht auf den Schock vor, den sie auslösen. Er nimmt das Science-Fiction-Genre zwar in seinem Regelwerk ernst und respektiert die Schaulust auf atemberaubende Szenerien. Aber er zieht ihm gleichzeitig jenen philosophischen Boden ein, der sich zuletzt in den Raumfahrtelegien von Christopher Nolan und Damien Chazelle offenbarte. Grays Blick auf die Zukunft ist nicht völlig ironiefrei – der kommerzielle Mondflug, für den Roy zur Tarnung in der Economy-Klasse einchecken soll, sowie das Product Placement auf dem dortigen Flughafen sind sehr amüsant –, aber er ist argwöhnisch. Donald Sutherland und Ruth Negga, die charismatische Kurzauftritte haben, agieren wie zuverlässig alarmierende Charaktere aus einem Paranoia-Thriller. Roys Vorgesetzte haben ihm seine wirkliche Aufgabe vorenthalten, er muss seine Schutzhülle der Professionalität im entscheidenden Moment ablegen. Er, der sich gegen Manipulationen gefeit wähnte, begehrt nun verzweifelt auf gegen einen interplanetarischen Überwachungstaat, dem er anfangs noch Treue schwor.

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