Kritik zu Der Pfad
Geschichte einer Flucht über die Pyrenäen: Der Filmpreis-Gewinner Tobias Wiemann („Amelie rennt“) verfilmte den auf wahren Begebenheiten beruhenden Jugendroman von Rüdiger Bertram
Die Mutter hat es noch auf ein Schiff nach Amerika geschafft, doch nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich steht ihrem Ehemann, dem regime-kritischen Journalisten Ludwig Kirsch, und ihrem gemeinsamen Sohn Rolf diese Möglichkeit nicht mehr offen, 1941 haben sie Marseille erreicht, den weiteren Verlauf ihrer unfreiwilligen Reise beschreibt der Vater seinem Sohn mit den Worten »Wir nehmen den Zug an die spanisch-französische Grenze, spazieren über die Pyrenäen und in Lissabon bringt uns ein Schiff direkt nach New York!« Ob sich dahinter Naivität verbirgt oder ob der Vater nur vermeiden will, dass sein Sohn Angst vor den kommenden Strapazen bekommt, bleibt offen.
Der zwölfjährige Rolf ist zwar ein Großstadtjunge, aber dabei doch ziemlich behütet aufgewachsen. Sein Lieblingsausdruck ist »kapital«; das ähnelt dem »kolossal« aus Erich Kästners »Emil und die Detektive« – möglicherweise eine bewusste Anspielung, denn Kästners fantastische Geschichte »Der 35. Mai« ist Rolfs Lieblingsbuch, das einzige, das er auf seiner Flucht aus Nazi-Deutschland mitnehmen konnte.
Die Vertreibung durch die Nazis, erzählt als abenteuerliche Flucht und nervenzerrende Verfolgungsjagd, zugleich als kindgerechte Familiengeschichte – geht das? Im Prinzip schon, »Der Pfad« ist auch nicht der erste Film, der so verfährt, 2019 gab es die Verfilmung von Judith Kerrs berühmten Kinderbuch »Als Hitler das rosa Kaninchen stahl«, 2013 den französischen »Belle & Sebastian«. Aus der Perspektive kindlicher Protagonisten zu erzählen erlaubt eine Reduzierung, bei der die Familiendynamik im Mittelpunkt steht. Im Fall von »Belle & Sebastian« und jetzt auch »Der Pfad« ist diese Reduktion noch verstärkt durch das Setting, die abgeschiedene Bergwelt.
Die Beziehung zwischen Rolf und seinem Vater hat etwas Kumpelhaftes, lässt die beiden oft wie auf Augenhöhe erscheinen. Als der Vater sich einer deutschen Patrouille ergeben hat, um seinen Sohn zu retten, bleibt er doch präsent für ihn. Rolf imaginiert ihn wiederholt an seiner Seite, wie er ihm Mut zuspricht. Das große Finale gibt dem unverbesserlichen Optimisten Rolf in dieser Hinsicht recht.
Das ist anders als im Roman von Rüdiger Bertram. Der hat, inspiriert von Lisa Fittkos autobiografischen Buch »Mein Weg über die Pyrenäen«, in dem sie schildert, wie sie während des Zweiten Weltkriegs Flüchtlingen über die Pyrenäen half, zuerst das Filmdrehbuch und dann sein Jugendbuch »Der Pfad« (2017) verfasst. Bei der Überarbeitung des Drehbuches durch Jytte-Merle Böhrnsen wurde aus dem Jungen Manuel, der Rolf über die Pyrenäen führt, das Mädchen Núria. Das ist nur ein Element, das die emotionale Seite des Erzählten betont, denn im zweiten Teil, nach dem Verschwinden des Vaters, erzählt der Film auch eine Coming-of-Age-Geschichte: ein Großstadtjunge lernt, in der Natur zu überleben, während ein gleichaltriges Mädchen, dessen Eltern als Partisanen möglicherweise ihr Leben lassen mussten, einen Teil ihrer unbeschwerten Kindheit zurückgewinnt. Dazu kommt als »comic relief« Rolfs Hund Adi und wiederholte Spannungsmomente, wenn es geht, sich zu verstecken oder auch zu hoffen, dass die gefälschten Ausweispapiere nicht als solche erkannt werden. Der zeitgeschichtliche Rahmen gerät dabei in den Hintergrund; das Insert am Ende »Etwa 82 Millionen Menschen sind heute weltweit auf der Flucht. 34 Millionen davon sind Kinder«, wirkt etwas gewollt. Ein Film, der Fragen aufwirft.
Kommentare
Ja, ein mäßiger Film. Und es
Ja, ein mäßiger Film. Und es hätte einen auch verwundert, wenn ein deutscher Film der 2020 gedreht wurde nicht am Ende noch eine politische Botschaft unterbringen müsste.
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